Renes Redekiste

Interviews & Polaroid-Fotografie

Live in Berlin (and it was all yellow)

“Wo ist denn hier Party?”
“Sprecht ihr mit mir?”
“Ja! Wo geht denn hier was?”
“Uff, ich habe keine Ahnung. Bin für eine Lesung hier.”
“Oh, eine Lesung. Dann bist du wohl eher der intellektuelle Typ.”

Die drei Mädels ziehen weiter. Und ich stehe da, auf einem Gehweg in der Hasenheide, suche das Freiluftkino, in dem Thorsten Nagelschmidt heute aus seinem Roman Arbeit lesen wird. Ich habe mich verlaufen und mein Kopf ist voll. Eine gute Freundin schreibt mir: “Aber jetzt erstmal Berlin und Thorsten. Kein Platz für solche Gedanken.” Wie so oft ist ihre Reaktion einen Ticken zu romantisch. Aber wahr.

Berlin also

Stimmt, Berlin. Für drei Tage bin ich in der Hauptstadt. Es ist Tag zwei und das gesamte Wochenende ist unglaublich warm. Die Sonne lässt nicht locker, was in den Abendstunden mehr als schön, tagsüber aber doch eine Qual ist. Am nächsten Tag werde ich abreisen und wenig materielles, dafür umso mehr im Kopf mitbringen. Lohnt es sich darüber zu schreiben?

Als ich Freitag Mittag am Hauptbahnhof ankam, begrüßte ich Berlin in meiner Herberge mit einem Nickerchen, dem auch gern so genannten Power Nap. Danach stellte sich folgende Frage: Was tun, mit einem Zeitfenster, dass noch genug Zeit lässt, um den Kiosk von SIND zu besuchen? Es waren noch zweieinhalb Stunden bis zum Beginn des Pabst-Konzertes, welches mich überhaupt erst in die Stadt gelockt hatte. Ein Blick auf die digitale Karte genügte, um es auf den Versuch ankommen zu lassen. Unangekündigt machte ich mich auf den Weg zum Ostbahnhof und marschierte weiter zum Holzmarkt. In seiner Gesamtheit ein Weg von gerade mal 20 Minuten. Das Ganze war einfach zu finden und nachdem ich mich kurz im Laden umgeschaut hatte, kamen wir ins Gespräch. Ein Bier wurde mir angeboten. Es war mehr als nur warm, ich hatte noch genug Zeit. Warum also nicht? Und so kam es zu einer spontanen Runde, der sich nach und nach mehr Biere und abschließend auch das letzte Bandmitglied anschlossen. Obwohl die Zeit knapp wurde, der Einlass ging mittlerweile los, rückte ich noch Bänke beiseite und Hannes, Ludwig, Mathias und Norm kletterten in den Strandkorb. Zwei schnelle Fotos, der schwarz/gelbe Film, ich konnte nicht widerstehen.

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Bereit für Pabst Live?

Auf dem Weg zurück zum Ostkreuz war ich bereits ganz gut angeschossen, die genau richtige Voraussetzung für mein erstes Konzert in 2021. Dass es mit SIND zu einem spontanen Gelage kam (okay, hier trage ich etwas dick auf) und wir beim nächsten Mal richtig durch den Tisch treten wollen – wer hätte denn bitte damit rechnen können? Doch nun ging es also zu Pabst. Auf dem Weg zur ZUKUNFT am Ostkreuz passierte ich die Schlange für eine Techno-Party (“Wäre jetzt eigentlich auch ganz geil!”), auf die Annekatrin bereits reingefallen war. Schmunzelnd zog ich weiter. Folgte der Route, sah Mads Mikkelsen (auf einem Plakat) und entdeckte meine Begleitung für den heutigen Abend. Wir tauschten uns kurz aus, ich vergab ein Kompliment für den Arbeitsoverall, abgefreakt.de als Blogname? Passt auf jeden Fall! Wir suchten uns Plätze, ich besorgte Bier.

Shybits waren als Support keine böse Überraschung, Bruce Lee stach hervor. Der Sound ein Geschenk, auch bei Pabst, die ohne große Ankündigung ihr krachendes Set begannen. Legal Tender, das grandiose, neue Never Again, gefolgt von Kiss Me, welches ich als Geschenk nach der Show kaufte und als tatsächlich nicht geplante Zugabe gab es zum Abschluss Hell! Laut, glasklar, der Mikrofonständer wurde umgerockt (sowas darf man eigentlich gar nicht schreiben) und selbst Tore, der ansonsten konzentriert keine Gefühlsregung beim Spiel zuließ, lächelte bei einem besonders heftigen instrumentalen Teil! So wie wahrscheinlich jede Person an diesem Abend. Nach der Show gab es noch ein Bier, den logischen Gang zum Merch und das war es. Indisch essen, ein wirklich letztes Abschlussbier, ab ins Bett. Die Kamera und das geschossene Foto landeten auf dem langgestreckten Tisch auf der anderen Seite des Zimmers.

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Pabst LIVE in der ZUKUNFT am Ostkreuz.

Tag zwei

Der folgende und heutige Tag verging wie im Schnelldurchlauf. Kontakt(e) per Handy, Frühstück in der Unterkunft, danach ins Museum. Foto nur halb so geil geworden.

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Use flash!

Wie es es eigentlich aussehen kann, ist in meiner “aktuellen Story” zu sehen. Die Technik macht das Vortäuschen falscher Tatsachen und Zeitsprünge einfach. Vom Museum nach Pankow, alte Freundin getroffen, Gemüse-Dürüm aus der Mikrowelle bekommen, ja, ich dachte, ich falle vom Glauben ab. Ping! Egal. Viel gelabert, Pride, ordentlich Sonnenschein, Sommer satt! Eis geholt, Feuerwehr in schweren Lederstiefeln bewundert – muss das heiß sein! Das Eis vor der nächsten Kirche genossen – Homophobie ist Sünde, wow, eine Kirche macht mobil! Ein Gespräch über Kutscher, Nazizeit, niemand will etwas gewusst haben und eine Umarmung später ging es zurück zum Ostkreuz. Geduscht, neue Klamotten rüber und dieses Mal bewusst ohne Kamera auf den Weg zur Hasenheide gemacht.

Der Trubel der Stadt, die Nachrichten, es war alles ziemlich viel. Ungewohnt dazu, nach all den Monaten ohne. Aus der Stimmung heraus rief ich meinen Opa an. Eigentlich hatte ich versucht von allem Distanz zu nehmen, brauchte nun aber diesen Draht in die Heimat. Über zehn Minuten hielt das Telefonat an, dieses Gespräch schafft es somit in den Highscore! Bevor ich also nach einer für diesen Gesprächspartner langen Zeit auflegte, sprachen wir über Operationen, Corona-Blues, die tolle Bahnverbindung nach Berlin und natürlich über den Grund meines Aufenthaltes. Eigentlich ging es mir doch nur um das Pabst-Konzert, dann kam überraschend die Nagelschmidt-Lesung dazu und bumms! – bruised and battered, ein ganzes Wochenende in Berlin. Nachdem ich das Handy in meiner Hosentasche verstaut hatte, versuchte ich mich zu orientieren. Ich musste das Freiluftkino verpasst haben. In Gedanken versunken und gleichzeitig voller Vorfreude machte ich auf dem Absatz kehrt.

Nun könnte ich über Copy + Paste die eingangs geschilderte Situation erneut wiedergeben, da diese nun stattfindet. Stattdessen weise ich jetzt darauf hin, dass wir uns wieder in der Gegenwart befinden. Nach dieser also schon seltsamen Begegnung (mehr der intellektuelle Typ – ha!) und der Anweisung der Freundin, mit der ich mir sonst bei Nagelschmidt einen einschenke, finde ich dann doch den von mir gesuchten Veranstaltungsort. Wieder ein Kino, es ist schon irgendwie witzig: Hier gibt es Popcorn, Fruchtgummi, Wein, Softgetränke. Ich bin auf einer Lesung, aber eben auch im Kino. Den Wein gibt es in Gläsern mit Schraubverschluss. Merkwürdig! Dieser ist kalt, die Gummibärchen schmecken und der nun bereits oft erwähnte Autor sitzt nur einen Steinwurf von mir entfernt. Der früher (& auch noch immer) als Nagel bekannte Mann liest, streut Anekdoten und Erinnerungen ein, es ist wie immer eine einzige Freude. Ich lache, bin leicht angetüdelt und genieße die Zeit. Viel zu schnell geht das ganze vorbei.

Sonnenuntergang

Ich beschließe, wieder Abfall zu verschenken, somit lasse ich zwei Exemplare signieren, nachdem ich gerade mal fünf Minuten in der Schlange stand. Der Abfall der Herzen mal zwei – Bücher der Herzen. Froh, mit einem Glimmer, der seinesgleichen sucht, wandere ich durch die Hasenheide und bin beseelt wie lange nicht mehr. Und so rufe ich einen guten Freund in Hamburg an. Er soll das Buch erhalten und ich muss es in meiner Vorfreude bereits petzen. Im Schein der langsam untergehenden Sonne liege ich im Gras, wir reden ein paar Minuten, bevor wir uns spontan für den folgenden Tag verabreden. Das Gespräch findet sein Ende und ich beginne den Abfall zum zweiten Mal zu lesen.

Als es dann zwangsläufig zunehmend später wird, beschließe ich, die Bücher wegzubringen, mir etwas zu essen und noch ein Bier in einem Späti zu besorgen. Völlig satt komme ich wieder auf meinem Zimmer an. Ich öffne das mitgebrachte Bier, das Fenster und mache mir Musik an. Die angenehm kühle Nachtluft strömt herein und lässt mich durchatmen. Das war also ein Wochenende in Berlin. Alles lief wie geplant und irgendwie auch nicht. SIND, Pabst und Nagelschmidt. Berlin deluxe. Der wievielte Abschied ist das nun? Ich lege das Handy beiseite, morgen geht es zurück. Es ist 23:47 Uhr. And it was all yellow.

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