Renes Redekiste

Interviews & Polaroid-Fotografie

Timo Blunck über: Die Optimistin

Mit Timo Blunck auf der Couch sitzend über sein kommendes Buch Die Optimistin plaudern: Lässig lehnt er sich zwischendurch zurück, fährt sich durch die Haare, hält sein neuestes Werk in den Händen. Es wäre das perfekte Foto gewesen. Doch das Gespräch wäre unterbrochen, der Moment vorbei, darum lasse ich meine Polaroid neben mir liegen. Also finden meine Gedanken wieder zurück zum Interview, zur Ausgangssituation. Später werde ich noch über diese Situation nachdenken, doch „it is what it is“.

Nach unserem ersten Interview zu Hatten wir nicht mal Sex in den 80ern?, im Jahr 2019, freue ich mich, dass es dieses Mal wieder geklappt hat. Eine Stunde palavern wir über den Straßen Hamburgs über sein neues Werk. Das Buch selbst ist eine aberwitzige Achterbahnfahrt durch die Geschichte der letzten 80 Jahre und damit komme ich nun auch zur ersten Frage:

Münchhausen?

Die Optimistin strotzt nur so vor wild blühender Fantasie.
Welche der verrückten Begebenheiten haben dir beim Aufschreiben am meisten Spaß beschert?
Also grundsätzlich mal, die kommen ja alle aus verschiedenen Ecken. Viele Sachen habe ich mir komplett ausgedacht. Ich habe eine krasse Tendenz, wirklich völlig überflüssiges Wissen in meinem Kopf zu sammeln. Das auch kein Mensch braucht, das war schon immer so. Bei den wichtigen Sachen habe ich Probleme, die Konzentration und den Speicherplatz in meinem Hirn zu finden. Aber ich habe unheimlich viel unnützes Wissen da oben drin. Und das habe ich benutzt, um viele Szenen zu schreiben. Natürlich fließen da meine geschichtlichen, literarischen und meine musikalischen Kenntnisse mit rein. Aber ich weiß manchmal bestimmte Sachen nicht, die wahrscheinlich wahnsinnig wichtig sind, um bestimmte Charaktere zu begreifen. Ich erinnere mich immer nur an weirde Details. Aber es gibt auch viele Geschichten, die basieren auf tatsächlichen Erlebnissen. Die ich entweder selber erlebt oder Familienmitglieder von mir erlebt haben. Da habe ich auch relativ viel recherchiert.

Also was mir wahnsinnig Spaß gemacht hat – die Elvis-Geschichte, die ist einfach super. Da dreht Charlotte in Göttingen, Göttingen war früher das Hollywood Deutschlands. Sie dreht einen Film mit Heinz Erhardt und trifft dort Elvis. Dann gibt es da noch eine andere Szene, wo Charlottes Ehemann Adolf Hitler auf der Autobahn trifft. Wobei ich da schon die Erinnerung meines Vaters eingebaut habe. Im Mai 1945 war mein Vater in der Napola, in Reichenau am Bodensee. Das war eine Kaderschule und die Lehrer waren alle Nazis. Die sind dann abgehauen, als die Franzosen kamen und haben ihn alleine dagelassen. Und dann ist er als 11-jähriger zu Fuß zurück nach Hamburg gelatscht.

Es gibt da auch eine ganz lange Passage, in der Charlotte im Traum zum ersten Mal ihren Vater trifft. Den hat sie nämlich nie kennengelernt. Der ist schon vor ihrer Geburt eingezogen worden und ist dann an die Ostfront gegangen. Die ganze Geschichte basiert auf den Erinnerungen meines Großvaters mütterlicherseits. Auf seinen Gedichten, auf seinen Liedern. Solche Sachen haben mir auch ziemlich viel Spaß gemacht, mit meiner eigenen Familiengeschichte als Hintergrund. Wenn man die Geschichte einfach nur so erzählt, das haben ganz viele erlebt, das sind Kriegs –oder auch Nachkriegsgeschichten. Ich habe daraus eben was ganz anderes und Spezielles gemacht und das hat unheimlich viel Spaß gemacht.

Dein letztes Buch war stark autobiographisch. Charlotte Kellers Lebenslauf entstammt dagegen komplett deiner Fantasie.
Im Vergleich zu Hatten wir nicht mal Sex in den 80ern?, wie unterschied sich da der Schreibprozess?
Erstaunlicherweise gar nicht so sehr. Bei Hatten wir nicht mal Sex in den 80ern? habe ich eben auch mein eigenes Leben als Gerüst benutzt und dann maßlos übertrieben. Oder ich habe Sachen, die an drei Tagen passiert sind, in einen Tag zusammengelegt. So eine Verdichtung wirkt dann auch immer ganz krass. Da geht es immer in einen magischen Realismus: „Ich reite auf meinem Bass von Shanghai nach Tokio und treffe einen Albatros, der aber in Wirklichkeit mein Flötenlehrer ist“, solche Geschichten. Das ist eben alles sehr, sehr fantasievoll. Und hier ist das auch so. So bin ich eben. Ich starte von einem bestimmten Ausgangspunkt, der vielleicht etwas mit der Realität zu tun hat, oder finde Inspiration durch eine Geschichte, aber ich mache da immer schnell meine eigene Geschichte draus. Meine Mutter sagt, das ist schon immer so gewesen, das habe ich auch als Kind schon gemacht. Ich hatte es eben noch nie so mit der Wahrheit. Die fand ich immer zu langweilig und unkreativ. Deshalb habe ich mir immer was dazu ausgedacht. Oder habe es etwas mehr ausgeschmückt, etwas bunter gemacht, überhöht, oder neue Charaktere hinzu erdacht. Insofern, das ist einfach mein Stil.

Kennst du John Hartford? Ein großer Künstler und Komponist, wie ich finde, der hat unter anderem Gentle On My Mind geschrieben. Deshalb musste der nie arbeiten, weil der einen Hit geschrieben hatte. Und der hat gesagt: „Style is based on limitations.“ Das kann man so schlecht übersetzen, aber das ist bei mir auch so. Ich bin eben limitiert. Ich kann nur so bestimmte Dinge und das ist mein Stil.

Ansonsten: Zwei unterschiedliche Menschen aufeinandertreffen zu lassen, das möchte ich beibehalten – das finde ich wahnsinnig inspirierend! Im ersten war das eben dieser völlig abgedrehte Heinzel, dieser Absturzakrobat und diese sehr nerdige, sehr kontrollierte Psychologin. Und hier ist das dieser Hochzeitsflüchtling Toyar Bayramoğlu und Charlotte Keller, die 79-jährige Frau. Und die unterhalten sich. Das heißt, meine Bücher sind Konversationen und das sollen sie auch bleiben.

Timo Blunck Autor von

Ich bin eben limitiert. Ich kann nur so bestimmte Dinge und das ist mein Stil.

Zum Buch

Dieses Mal ist die Eingangssituation eine arrangierte Hochzeit. Man könnte tatsächlich eher von einer Zwangsheirat sprechen.
Wie war das für dich – sich mit dem Thema auseinanderzusetzen?
Ja, das ist ganz komisch. Weil diese Geschichte habe ich von einer Freundin von mir erzählt bekommen, Mehtap. Die hat das genauso erlebt. Es war eine arrangierte Ehe, also keine Zwangsheirat. Dabei ist sie eine total aufgeklärte Deutsche mit türkischen Wurzeln. Aber sie hat sich trotzdem darauf eingelassen, das zu machen. Weil das eben aus ihrer Familie kam, da gab es nicht mal wahnsinnigen Druck. Das wurde einfach so gemacht. Und die hat mir die ganze Geschichte erzählt, mit der ganzen Weirdness, die damit verbunden ist. Davon habe ich mich inspirieren lassen. Sie hat mich auch generell beraten, was türkische Hochzeiten angeht. Wegen ihr habe ich mir auch diese ganzen türkischen Komödien angeguckt. Zum Beispiel Eyyvah Eyyvah, das ist eine sehr erfolgreiche Serie von Filmen. Die habe ich mir angeguckt und da wird immer geheiratet! Die Hochzeiten sind immer so wahnsinnig monströs! Und Gülşen, die Braut, hat sich genauso eine Hochzeit, wie aus Eyyvah Eyyvah 2, gewünscht! Bei dieser Hochzeit gab es auch ein Dromedar. So ist das entstanden.

Auf Seite 124 durchlebt Toygar einen kleinen Zusammenbruch, sehr ehrlich reflektiert er sein Leben in wenigen Sätzen.
Charlotte versucht daraufhin anhand der früheren Verhältnisse ihr intensiveres Leben zu relativieren.

Toygar, es waren andere Zeiten damals, Sie wissen, die Gnade der frühen Geburt. Alles war intensiver, Leben und Tod lagen dichter beieinander. Es muss ja nicht immer gleich ein Weltkrieg sein, aber ein bisschen mehr Wirklichkeit könnten wir heute schon vertragen.

Meinst du, da ist was dran?
Es kommt ja nicht von ungefähr, dass das Buch Die Optimistin heißt. Es gibt da schon eine Botschaft – Positivismus. Diesen Optimismus, nach vorne zu gucken, deshalb ist ja auch das Motto von Charlotte Keller: „Da vorne wird’s schon wieder hell!“ Also immer den Silberstreifen am Horizont sehen. Das ganze Buch hindurch herrscht ja schlechtes Wetter, es regnet die ganze Zeit. Und sie sagt: „Ach, da vorne wird’s schon wieder hell!“ Dieser Ausblick auf das Leben ist ein Markenzeichen der Nachkriegsgeneration. Was eben auch dadurch kommt, dass die wirklich krass was erlebt haben. Das ist so eine Form von Realität gewesen, das kann man sich gar nicht vorstellen.

Auch die Leute, die im Krieg gewesen sind, das beschreibt ihr Vater eben auch. Und das ist ein Originalzitat meines Großvaters. Was die gesehen haben! Wie lange es dauert, bis man erwachsen ist, 30 Jahre und dann stirbt da jemand in zwei Sekunden. Wie viel Tod die gesehen haben, was die für Traumata erlebt haben. Und nach dem Krieg haben die krass gefroren, die hatten nichts zu essen, da kam gleich der kälteste Winter des Jahrhunderts. Die Probleme, die wir heute haben, das waren so Luxusprobleme für die: „Ach, was werd‘ ich denn bloß? Ich wollte ja Arzt werden, aber es hat mir dann doch nicht so gefallen.“ Das meint sie mit einem Touch mehr Realität. Es geht nicht immer nur um dich und deine everchanging moods.

Du lässt viele Prominente antanzen.
Auch John Lennon taucht auf!

Hast du keine Angst vor Yoko Ono?
(Lacht) Ach, ich weiß nicht. Das war auch schon beim letzten Buch so. Da habe ich ja zum Beispiel kein besonders gutes Haar an Bobby Gillespie gelassen. Das sind so öffentlich bekannte Dinge, das stand schon 50-mal in der Zeitung, dass die auch Drogen genommen haben in den 60er Jahren. Ich bin ja auch liebevoll und beschreibe die nicht als fies oder so. Paul McCartney hat eben Currywurst zwischen den Zähnen und John Lennon ist einfach drauf. George Harrison, “The Quiet One”, der liest eben die ganze Zeit ein Lexikon. In Wirklichkeit sind das alles Zufallsartikel von Wikipedia. George erzählt die ganze Zeit diese Zufallsartikel und da beschreibt er auch den langsamen Walzer. Weil die Beatles ja nicht wissen, was ein Walzer ist. Das ist Fakt. Die Beatles wussten nicht, was ein Walzer ist. Die Beatles waren ahnungslos. Die haben das alles intuitiv gemacht.

Gerade bei den Dinç-Brüdern waren die Verweise auf die Gamingkultur beim Lesen anstrengend.
Dicht an dicht – war das wirklich nötig?
So viele sind es im Endeffekt nicht. Weil so oft taucht der Cem auch nicht auf. Doch eigentlich ist er mein dritter Protagonist. Der hat auch einen richtig geilen Bogen. Am Anfang beschreibe ich ihn ja als Vollhonk, aber er ist total bewusst und hat eine ganz starke Sensitivität. Der ist bloß krass ungebildet. Aber eigentlich auch nicht, weil er seine gesamte Bildung aus Videospielen bezieht. Cem kennt die Songs, als er bei Toygar in der Wohnung ist, aber nur aus Videospielen. Und deshalb gibt es immer diese Videospiel-Referenzen, um den zu erklären. Wie der tickt.

Toygar tickt ja auch. Also mir hat auch schon jemand gesagt, dass ihm das zu viele Film-Referenzen sind. Ja, da sind viele Film-Referenzen drin, denn Toygar will eigentlich Filmkritiker sein. Und dass der so denkt und man ihn auch so verstehen muss, er ist eben ein krasser Nerd. Das bin ja ich. Der hat ganz viel von mir als junger Mann. Auch dieses Rumeiern und nicht wissen, was man machen soll, das kommt alles von mir. Ich erinnere mich sehr, sehr gut, wie das so war. Das heißt, diese Referenzen haben was zu bedeuten. Auch diese Referenzen – „so wie“. Das ist modern.

So erklärt man sich mittlerweile. „Wie sieht denn der aus? Ja, der sieht so aus wie … Das ist dann meist ein Filmstar. Oder wie klingt denn das? Das klingt so wie … So redet man heute. Wenn ich jemanden beschreibe, dann sage ich nicht, der ist brünett, hat eine gerade Nase und eine aufrechte Statur, muskulöser Typ. Sondern dann sage ich, der sieht aus wie Elyas M’Barek.

Aus dem Hause Blunck

Saunapartys hast du bereits in deinem vorigen Buch erwähnt.
Diese waren scheinbar sehr prägend?
Also erstmal ist es so, in meinen Büchern ist eigentlich jeder zweite Satz ein In-Joke, den aber nur ich verstehe. Du bist jetzt gerade mal auf einen gekommen. Und zwar, im ersten Buch ist es eben immer so: Er will nicht über die Saunapartys seiner Eltern sprechen. Und sie (die Psychologin) sagt auch: „Saunapartys der Eltern – da lacht der Psychologe!“ Aber er erzählt sie nicht.
Hier erzähle ich das. Es sind ja keine Orgien, die hängen nur nackt im Innenhof rum und singen. Also sehr gut bemerkt, dieses Mal gibt es diese Saunapartys. Und die sind natürlich sehr inspiriert von den Saunapartys meiner Eltern.
Wie war das denn damals tatsächlich?
Ah, das war furchtbar! Stell dir mal vor, du bist irgendwie zwölf oder zehn und im Innenhof laufen lauter nackte Menschen rum.

Also das ist schon verstörend.
Ja (lacht auf)! Ich habe darauf immer reagiert, in dem ich mich extra mit Rollkragenpullover angezogen habe. Im Hochsommer, schwitzend. Oder ich habe mich in mein Zimmer verzogen. Nee, ich fand das nicht toll. Jetzt finde ich das eher lustig, die Erinnerungen sind auch sehr genau und die sind jetzt da drin.

Die erwähnten Partys fanden im Haus deiner Eltern statt.
Was sagt denn deine Mutter zu deinem zweiten Roman?
Meine Mutter hatte das erste Buch gelesen und da hatte sie sich natürlich Retro Sorgen um mich gemacht. Obwohl es mir da schon wieder gut ging, da hatte ich meine harte Zeit schon hinter mir. Bei diesem Buch, da hatte ich natürlich um Erlaubnis gefragt, die sie mir gegeben hat. Es ist inspiriert von ihr, aber ganz viel hat auch nichts mit ihr zu tun. Es gibt immer mal wieder einen Moment, wo ich mich so bediene. Bei Erfahrungen, die ich mit ihr gemacht habe oder die sie gemacht hat.

Zum Beispiel hat sie tatsächlich zusammen mit Raimund Harmstorf studiert. Und der war mal in sie verliebt und hat ihr einen Schal gestrickt, den gibt es immer noch. Den hat später mein Vater immer getragen, lachend, da hat er immer gesagt: „Guck mal, den hat Raimund Harmstorf meiner Frau gestrickt!“ Also das ist eine wahre Geschichte. Aber sie findet das Buch gut, um die Frage zu beantworten. Sie findet es ein bisschen lahmer als das letzte. Das letzte fand sie extremer, war für sie mehr Kunst und dieses ist mehr Unterhaltung.

Als Ergänzung zur ersten Frage:
Du bedankst dich am Ende des Buches bei ganz verschiedenen Quellen, auch bei deinem verstorbenen Vater.
Napola, die Flucht vom Bodensee nach Hamburg …

Wie viel Wahrheit hast du dieses Mal in die Geschichte mit einfließen lassen?
Die Geschichte meines Vaters wurde mir schon mein ganzes Leben lang erzählt. Das ist ganz seltsam, weil die sich immer wieder verändert hat. Lange Zeit wurde mir immer erzählt, mein Vater hätte mit elf noch gegen die Franzosen gekämpft. Und zwar mit der Waffe in der Hand. Als die Franzosen kamen und auf ihn schossen, da sei er ohnmächtig geworden, im Graben kollabiert und die Front sei an ihm vorübergezogen. Irgendwann habe ich die Aufzeichnungen von meinem Vater in die Hand gekriegt und da stand was ganz Anderes drin. Und so geht es mit ganz vielen Familiengeschichten. Die werden einem unterschiedlich erzählt, mal so, mal so, von verschiedenen Leuten. Auch von meiner Mutter wurden mir Geschichten schon in verschiedensten Versionen erzählt.

Und das ist eine Familienkrankheit – wir flunkern eben gerne. Die Bluncks flunkern gerne und das ist eben kein Flunkern, wir nennen das Blunckern. Also wir blunckern gerne. Und so ist mein erstes Buch und dieses auch: Ausschmücken, dann auch mal wieder ein bisschen ändern … Wenn ich meiner Mutter sage: „Moment, das hast du mir aber schon mal anders erzählt.“ Da wird die richtig sauer: „Nein, das habe ich schon immer so erzählt!“ Das gehört aber auch zu einer guten Lüge, du musst sie selbst glauben. Und das tue ich eben auch. Also da wird gerne mal geblunckert. Ja, wie war deine Frage nochmal?
Einfach nur, wie viel Wahrheit du in die Geschichte mit einfließen lassen hast.
Ich kann es dir nicht sagen (lacht). Frag mal meinen Vater, der ist aber schon tot.

Und auch er würde uns was anderes erzählen.
Ja, wahrscheinlich. Meine Schwester hat auch schon mal ein Stück gemacht, basierend nur auf dieser Geschichte. Es gibt da auch noch diese Geschichte, die war aber nicht in den Aufzeichnungen, dass mein Vater einen guten Soldaten trifft, der ihm hilft. Und daraus habe ich dann Adolf Hitler gemacht, der Hasso Keller hilft. Aber natürlich, Adolf Hitler hat seinen eigenen Plan. Ich erzähle hier nun aber keine Spoiler. Diese Beobachtungen, die Flüchtlingsströme auf der Autobahn, die in beide Richtungen gehen, das ist eins zu eins die Erinnerung von meinem Vater. Ich habe die natürlich in meinem Stil geschrieben, weil der Stil meines Vaters doch sehr hölzern ist. Aber die Beschreibungen selbst, die fließen da ein. Wie er sich fühlt und was er anhat. Er trug immer eine Gasmaskentasche mit sich, in der er seine ganze Habe drin hatte. So ein geiles Wort – Gasmaskentasche!

Zukunftsvisionen und die Moral von der Geschicht‘

Wie so oft zum Ende, der Blick in die Zukunft.
In unserem letzten Gespräch hattest du Der Schlaffotograf als nächstes Buch angekündigt, nun ist die Die Optimistin vorher ins Ziel eingelaufen.
Was ist geschehen und wird es das andere Buch auch noch geben?
Anfang 2019 habe ich angefangen nach einem Agenten zu suchen. Eigentlich ist das erste Buch gut gelaufen, dafür, dass es so ein extremes Buch war. Also es gibt eigentlich niemanden mehr, der mich in der Kulturlandschaft Deutschlands nicht kennt. Oder nur wenige. Das ist jetzt vielleicht etwas anmaßend, aber ich bin jetzt doch schon viel bekannter geworden. Als Quereinsteiger hatte ich aber einfach keine Ahnung vom Buch-Business. Ich habe das vorher mit Tapete (Records) gemacht, die das auch toll gemacht haben, aber das ist ein Plattenlabel. Dann habe ich mir also einen Agenten gesucht und mir wurde Lars Schultze-Kossack empfohlen. Ihm habe ich somit den Schlaffotografen gezeigt und den fand er nicht so gut. Die Optimistin fand er dafür gut. Das war Anfang 2019. Das Buch ist auch fertig, es heißt aber nicht mehr Der Schlaffotograf. Abgesehen davon, dass ich das für einen super Titel halte!

Das heißt jetzt Viagrathen. Das ist ein Science-Fiction Porno. Spielt ein bisschen wie eine griechische Tragödie. Es gibt auch einen Chor. Sechs Akte und jeder Akt springt immer fünf Jahre nach vorne. Die Handlung fängt vor zwei Jahren an und endet dann Mitte dieses Jahrhunderts. Und jeder Akt hat immer nur 48 Stunden. Dann geht es weiter. Es sind immer die gleichen Charaktere, aber die entwickeln sich immer sprunghaft weiter. Zu dem Buch habe ich dann angefangen ein Album aufzunehmen. Das ist auch fertig und das heißt dann Der Schlaffotograf. Es gibt noch ein neues Buch, an dem ich arbeite, das heißt: Ein kleines Lied über das Sterben. Und das handelt von einem Mann, dem diagnostiziert wird, dass er nur noch ein Jahr zu leben hat. Außer er verliebt sich. Und ich begleite ihn ein Jahr, wie er versucht sich zu verlieben.

Zu guter Letzt, zurück zur Optimistin, du lässt es auch schon im Buch verlauten, dennoch:
Die Moral von der Geschicht‘?
Die Moral von der Geschichte ist wirklich: Da vorne wird’s schon wieder hell! Dass man eben versucht, die positiven Seiten des Lebens zu sehen. Und mit einem optimistischen Ausblick auf das Leben zuzugehen. Das zu genießen, was man hat und nicht unzufrieden zu sein, weil die letzten 20 Prozent nicht stimmen. Sondern glücklich zu sein über die 80 Prozent, die stimmen. Das Glas ist halb voll, nicht halb leer. Das sind so Kalendersprüche, Binsenweisheiten, aber ich glaube daran. Ich glaube auch daran, weil ich eben so schlimme Dinge erlebt oder mir auch angetan habe. So Situationen, wo ich dem Tod von der Schippe gesprungen bin, gerade eben nochmal. Das sagen ganz viele, nach sowas findet man jeden Tag ganz toll.

Bei mir ist es mittlerweile auch so, wenn ich einen Tag habe, an dem ich schmerzfrei bin und keine Energie in den Schmerz geht, da bin ich so gut drauf! Da frage ich mich immer, was regen sich alle so auf, wir haben es doch so gut. Wir klagen auf einem so hohen Niveau. Und natürlich, ich bin privilegiert. Mir geht es auch in vielerlei Hinsicht gut, aber erst seit ein paar Jahren. Also mir ging es so schlecht teilweise, mein Leben war so eine Katastrophe, ich denke, das habe ich mir nun auch verdient. Ich habe das Gefühl, jetzt darfst du auch mal glücklich sein. Jetzt kannst du dich auch mal an den Dingen freuen.

Meine Freundin und ich, wir haben gestern mal ein Picknick gemacht. Da sind wir in einen Supermarkt gegangen, haben ein paar Sachen gekauft und haben uns an die Alster gesetzt. Das war so schön, wir haben die Sonne genossen, so etwas Einfaches, Simples. Und meine Freunde, wenn ich denen das erzähle und mit denen drüber rede, die sind alle so zynisch und das war ich früher auch, die lachen sich tot. Die nehmen mir das nicht ab. Aber das ist so. Auf Englisch nennt man das humble, auf Deutsch heißt das demütig. Aber Demut, das klingt so wahnsinnig religiös. Bescheiden ist auch das falsche Wort, denn bescheiden bin ich nicht.

Aber doch, mal zufrieden zu sein, mit dem was man hat.
Glück zuzulassen, auch in kleinen Momenten.
Das ist definitiv meine Botschaft.

Abschluss

Timo Blunck ist Autor und Musiker. Er ist Toyar Bayramoğlu. Wir kennen ihn als Knirpsi Schröder oder auch T-Bone. Gleichzeitig ist er Cem Dinç und natürlich Charlotte Keller. Eigentlich ist es ganz klar – Timo ist die Optimistin!

TimoBlunckAutorDieOptimistin2

Da vorne wird’s schon wieder hell!

Danke für deine Zeit!

Weiter Beitrag

Zurück Beitrag

Antworten

Ich habe die Datenschutzhinweise zu Kenntnis genommen.

© 2024 Renes Redekiste

Thema von Anders Norén