Renes Redekiste

Interviews & Polaroid-Fotografie

Timo Blunck: 80er, Koks & andere Drogen

Es ist bald ein Jahr her:
Ich liege im Krankenhaus und blättere durch den Rolling Stone. Ein Artikel über einen Musiker, der ein Buch geschrieben hat, aha!
Hatten wir nicht mal Sex in den 80ern?, ganz interessant.
Monate vergehen und das Reeperbahn Festival steht in den Startlöchern. Und eben dieser Musiker, nun auch Autor, wird dort lesen und spielen.
Die alleinige Begeisterung über den Buchtitel (ich habe das Buch zu dem Zeitpunkt noch nicht gelesen) lässt mich mit großer Vorfreude einen guten Freund mit zur Lesung schleifen. Leicht einen im Kahn genießen wir das Gelesene und die musikalischen Höhepunkte zwischen den Kapiteln.
Bei lautem Lachen raunt Timo Blunck in unsere Ecke:
“Du bist doch noch nicht mal 18!” Wie oft muss ich sowas noch hören? Nach der Lesung bin ich Fan. Ganz einfach.
Ich weiß nicht, wer Palais Schaumburg sind, bin noch nicht mit Die Zimmermänner vertraut, es liegt am Buch. Ein paar Monate später liegt es unter dem Christbaum und ich verschlinge es in zwei Tagen, fresse es quasi auf, freue mich auf Passagen, die Timo bereits in Hamburg gelesen hat. Sex, Drogen, das wilde Leben, sowas liest sich einfach gut!

Meine Anfrage wird positiv beantwortet und das erste Interview für 2019 steht fest: Timo Blunck
Wir treffen uns also kurz nach Neujahr in Hamburg auf einen Kaffee, um ein paar Fragen zu klären, wobei es mein erstes Interview zu einem Buch ist.
Das Fazit, welches ich Abends noch einem anderen guten Freund im Pub gebe:

Wo bei Nagel nur ein Finger ins Höschen geht, geht es bei Blunck richtig los!
Doch noch bevor ich Fotos von Timo Blunck in seinem Studio schieße, ich danach im Pub verweile und die Polaroid-Aufnahmen begutachte, sitzen wir ja bei oben erwähntem Kaffee zusammen. Was dann passierte, lest ihr hier:

Die 80er

Quelle: YouTube, tapeterecords

Hatten wir nicht mal Sex in den 80ern?
Ist dieser Satz, der Titel deines Romans, erdacht, oder tatsächlich, wie im Roman, von dir aufgeschnappt? Ein erlebter Gedanke …

Ja, hat mich wirklich jemand gefragt. Die Vorlage für die Sophia.
Tatsächlich?
Die Vorlage für die Sophia ist ja die Mutter meiner Kinder, Sondra. Und die hat mich das gefragt: ‘Didn’t we have sex in the 80s?’

Im Buch sagst du, dass du die 80er nicht verklärst. Oft passiert aber genau das, wenn man zurückblickt.
Was siehst du zurückblickend in einem wohlwollenden Licht?
Ich bin grundsätzlich ja nicht der Typ, der immer sagt:
“Ach, früher war alles besser!” Ich finde ja, heute ist alles besser!

Ich glaube das, was ich gut finde an den 80ern, ist was jeder gut findet an seinem Leben, wenn er jung ist. Also, ob das nun in den 80ern stattgefunden hat, oder in den 90ern, oder den 2000ern. Es ist eigentlich immer vergleichbar. Und die Dinge, die ich getan habe, als ich jung war, eben mit 19, in einer Band sein. Das ganze auch noch relativ erfolgreich. Das fand ich geil! Aber das war jetzt nicht so 80s spezifisch.
Also diesen Kick, den du als junger Mann mitkriegst.
Jaa, die Erinnerung daran. Ich meine, du bist ja selber ein junger Mann. Insofern, was findest du toll? Eine tolle Frau kennenlernen, oder einen tollen Mann, egal. Zum ersten Mal Walnusseis essen oder zum ersten Mal in New York sein, solche Sachen. Sachen, die zum ersten Mal passieren. Und das finde ich toll. Zum Beispiel, zum ersten Mal in New York sein, das fand ich toll.
Das fand ich auch ziemlich beeindruckend!
Und New York war zu der Zeit noch ganz anders. New York war zu der Zeit grottig.
Gefährlich.
Ja, es war wirklich gefährlich! Und man hatte Angst. Man hatte auch schon einfach deswegen Angst, weil alle einem immer erzählt hatten, wie gefährlich es da ist. Obwohl mir da nichts passiert ist.
Du warst ja auch im Studio 54, das finde ich ziemlich geil!
Ja, aber als ich im Studio 54 war, da war es da nicht mehr so geil. Das war ’82 und da war das nicht mehr diese Hochzeit. Das gab es zwar noch, ich glaube, das gab es noch bis ’84 oder so, aber da war kein Mick Jagger, Jerry Hall …
Das war ein bisschen danach. War auch ziemlich runtergekommen. So erinnere ich es zumindest.

Der 80er-Hype ist ja trotzdem da.
Spätestens, wenn jetzt die dritte Staffel Stranger Things am 4. Juli erscheint, komme ich da auch nicht drum herum. Dann bin ich auch wieder gehyped, die Mucke, was da gezeigt wird …
Wie erklärst du diese Faszination?
Na, in meinem Buch beschreibe ich es ja auch schon mal …
Ein Großteil der 80er Jahre, der Grund, warum so viele Leute die 80er so gut finden, ist, weil die 80er so spießig waren. In den 80ern gab es wirklich nur drei oder vier verschiedene Weltbilder, nach denen man irgendwie lebt. Das war irgendwie noch nicht so wahnsinnig fragmentiert. Es gab in Deutschland auch nur erstes, zweites und drittes Programm. Die Grünen kamen langsam an den Start, aber es gab eigentlich nur ein Drei-Parteien-System. Die Lebensmodelle, die man wählen konnte, waren wirklich sehr limitiert. Es gab eben Regeln und es gab genauso Regeln, die man brechen konnte. Das war auch alles einfach. Da konnte man eben auch so wie Madonna sein und die Leute waren noch echt geschockt. Und heutzutage lachen sich die Leute tot.

Du hast ein Kim Kardashian Fick-Video online und das ist ganz normal, das gehört einfach zum Image.

Musst du haben. Da schockst du auch niemanden mehr mit. In Wirklichkeit schockst du auch niemanden mit so einem Buch. Du schockst vielleicht so ein paar Literatur Typen, aber den normalen Menschen, der sich auch mal einen Porno im Internet anguckt und der ganzen Pop-Kultur ein bisschen folgt … Dazu gehören ja auch die ganzen Influencer und die Selbstdarsteller auf Instagram. Du bist ja mittlerweile berühmt, weil du berühmt bist, nicht, weil du irgendetwas kannst. Und deswegen breche ich auch keine Tabus mit dem Buch, in der Welt, in der ich mich bewege. Das hat jetzt noch keiner gelesen von einer Person wie mir, aber in der amerikanischen Literatur gibt es das sowieso. Und in Deutschland ist es dann noch ein bisschen so: “Uuuh! Uuuuh!” Aber in den 80ern konntest du die Leute noch schocken. Da gab es eben Regeln. Und ich glaube, dass die Leute deswegen die 80er so gut finden. Auch Stranger Things, Stranger Things ist ja nun eigentlich eine neue Version von E.T., sieht auch genauso aus. Und E.T. ist eben auch so, die Kinder sind alle gleich. Da ist der kleine Nerd, der Schöne, der hässliche Dicke und da ist der Schwarze. Mehr gibt es auch nicht, mehr Modelle gibt es nicht. Alles spielt in geruhsamen Vororten. Es ist immer der Nordwesten der Vereinigten Staaten, irgendwo in Oregon oder so. Das finden die Leute gut, das ist so überschaubar, einfach. Lederschlipse, weißt du?
Es ist klar, wenn jemand ausbricht …
Genau! Und ich glaube eben, dass der Mensch sich wirklich lieber von einem klaren Feindbild absetzt, oder eben einer einfachen, klaren Welt, die es sowieso schon lange nicht mehr gibt. Und die es in Wirklichkeit damals auch nicht gab. Heutzutage ist es nur so, dass man es viel, viel mehr wahrnimmt. Weil damals hatte man viel, viel weniger Mittel zu sehen, was eigentlich so los ist auf der Welt. Deshalb finde ich auch heute viel, viel besser! Weil du heute ja theoretisch alles wissen kannst. Wenn du es nutzt, im Internet kannst du dir alles angucken. So viel Musik, wie ich jetzt höre, habe ich in meinem ganzen Leben nicht gehört. Ich höre jeden Morgen so eine Stunde Musik, höre mir lauter neue Sachen an, auf Spotify.
Hast du da Bock drauf?
Ja! Ist ja auch ganz viel Scheiße, aber ich bastle immer an meinen Playlists. Radio ist ja schon immer scheiße. Radio spielt ja auch immer den gleichen Mist. Übrigens, Radio ist ein klassisches Beispiel für die 80s! Weil im Radio werden die 80s nicht gehyped, da sind die ganze Zeit sowieso immer nur die 80s gelaufen (hier muss ich anfangen zu lachen).

Es ist nicht vorangekommen.
Ne! Es ist immer noch Phil Collins, Paul Young, …

Ich saß neulich wieder im Taxi, das ist wie so eine Zeitmaschine. Radio anmachen, Radio Hamburg oder so, Zeitmaschine. Pointer Sisters, Upside Down-Diana Ross, weißt du, das ist immer das gleiche. Und diese Überschaubarkeit, diese Einfachheit, dieses ganz klare Schwarz-Weiß, das ist so 80s. Und die 80s sind eben auch spießiger als die 70s. Und sowieso als die 60s.
Weil da viel mehr Aufbruch war.
Ja, ja, viel mehr. Die 80s sind mehr so ein Zurückkommen. Greed is good, Wall Street und sowas alles. Im Grunde genommen ist es das, in einer ganz pervertierten Version, was jetzt Donald Trump macht. Bloß, dass es eben auch nicht mehr funktioniert. Und eben mittlerweile nur noch von diesen nationalistischen Heinis besetzt ist. Weil die Welt einfach zu divers geworden ist. So kommst du eigentlich nicht mehr weg. In den 80ern konntest du auch noch so ein Macho Typ sein. Hashtag Me Too, das hätte niemals stattgefunden, diese Bewegung.

Weißt du, in den 80ern war es noch okay, einer Frau auf den Arsch zu klatschen.

Und deswegen ist auch da, glaube ich, eine Identifikation. Klare Männer-und Frauenrollen. Und deshalb, again (lacht), deshalb nochmal, ich bin eben gar kein großer Fan von den 80s. Ich bin auch froh, dass wir in so einer viel diverseren Zeit leben. Und grundsätzlich, was wir jetzt auch an AfD haben, das ist ja immer ein Zurück. Was heißt, wir haben uns schon ganz schön entwickelt. Und insofern, die 80s waren noch viel nationalistischer. Da war es noch gar nicht so weit, mit dem, was wir jetzt als normal empfinden.
Das ging wahrscheinlich durch die ganze Bank weg und deswegen war das normal.
Das war normal. Da gab es die DDR noch. Da war eine ganz klare Grenze. Und Anfang der 80er war der Osten noch richtig Feindbild. Das ging ja erst Mitte der 80er los mit Gorbatschow. Vorher, also auch als Reagan Präsident wurde, da gab es noch Filme wie Rocky III! Wo sich Rocky mit so einem rotbehosten Russen prügelt. Da war Russland noch richtig das Kommi-Feindbild! Jetzt kannst du ja nicht mal mehr richtig sauer auf Russland sein. Obwohl die das und das machen. Heutzutage würde sich keiner mehr hinstellen und: „Die scheiß Russkis!“ sagen.

Das ist ja auch eine Verallgemeinerung.
Aber das war in den 80ern okay. Man kannte eben nur das fünfmal um die Ecke gespiegelte Bild, was man eben …

In Rocky sieht.
(Lacht) Zum Beispiel! Oder in jedem anderen Spion Film. Also, soweit zu den 80ern.

Wir müssen aber noch einmal in die 80s. Das ist nun etwas, das mich persönlich beschäftigt und hat nichts mit Musik zu tun. Mittlerweile steht unsere Umwelt in einem großen Haufen Scherben. Ich sage es selber manchmal, wie geil muss es in den 70er, 80er Jahren gewesen sein, einfach dieser Überfluss, dieses Rausballern, keine Gedanken an die Umwelt, Party!
Hier muss ich jetzt einmal Astrophysiker Harald Lesch zitieren:
“Meine Generation hat vollständig versagt.”
Gab es denn damals überhaupt kein Umweltbewusstsein?

Na ja, doch, es fing gerade so an. Aber wie gesagt, du fragst hier jetzt keinen Fachmann, ich bin kein 80s Fachmann. Ich kann hier nur von meinen ganz persönlichen Erinnerungen sprechen. Ich weiß noch, das war ’83, da kam die CDU an die Macht. Das ging so langsam los. Die Grünen haben ja wirklich als ökologische Partei angefangen. Es ging schon los, auf jeden Fall!

Was ich viel, viel schlimmer finde, ja, die Generation hat auf eine Art versagt. Ich finde, die Tatsache, dass diese Generation jetzt gerade auch versagt, also ihr, ist eben noch viel, viel schlimmer. Weil eigentlich wisst ihr noch viel, viel besser Bescheid und macht es ja trotzdem nicht.

Also, ich will jetzt nicht sagen du persönlich, aber …

Koks und andere Drogen

Sex in allen möglichen Variationen, mit Männern, laut Buch, wer weiß, Drogenmissbrauch, du hast ja alles mitgenommen.

Timo Blunck im Studio Blut, Schwarz-Weisses Polaroid

Was heißt hier Missbrauch?

War das gesund (ich beginne zu lachen)?
Nee, das war bestimmt nicht gesund, aber Drogen nehmen ist ja einfach nur Drogen brauchen. Das ist ja grundsätzlich schon mal ein Missbrauch. Jedenfalls diese Form von Drogen. Man kann natürlich auch eine Kopfschmerztablette eine Droge nennen.
Ist es ja auch. Aber, sagen wir, harter Drogenkonsum.
Genau, genau.
Du bist da wirklich schonungslos aufs Papier gegangen.
Was sagen deine Söhne zu all den Geschichten?
Ja, die wissen das. Aber ich habe das denen auch schon unabhängig davon mal erzählt. Schon vorher. Das war aber von mir, zu dem Zeitpunkt, eine Maßnahme, damit die mir auch erzählen, was die für Drogen nehmen. Was sie mir dann auch erzählt haben. Wir haben da ein relativ offenes Verhältnis. Allerdings hätte ich dieses Buch niemals veröffentlicht, wenn die noch klein gewesen wären. Also das Buch habe ich geschrieben, 2016, da war auch Elliot ja schon volljährig. Da war Elliot sogar schon 20. Also, wenn die da noch klein gewesen wären, hätte ich das nicht gemacht. Genauso wenig hätte ich das Buch veröffentlicht, wenn mein Vater noch leben würde.
Hättest du nicht gemacht?
Nee. Mein Vater, der wusste das alles nicht. Und meine Mutter weiß es jetzt und ist okay damit. Meine Mutter ist sogar die erste, die das Buch gelesen hat. Da hatte ich immer gesagt:
“Mama, Mama, nein, das kannst du nicht lesen …”
Und sie so: “Gib schon her, gib schon her!”
Dann habe ich es ihr gegeben und ich so: “Oh Gott, Mama …”
Und sie so: “Wieso, ich bin doch nicht prüde?!” (Ich muss wieder lachen)
Und das hat dazu geführt, dass wir uns sehr viel offener über Dinge unterhalten können. Und vor allem ist es so, ich bin ja auch ein reformierter Druggie. Ich nehme ja schon lange keine Drogen mehr.
Komplett weg. Weil im Buch geht das ja bis 2015.
Ja. Aber das kommt auch so ungefähr hin. So seit dreieinhalb Jahren.

Wie sehr stecktest du denn im Drogensumpf?
Kann man das als Sumpf bezeichnen oder hast du noch funktioniert?
J
a. Ja, also ich habe eben funktioniert. Aber das ist eben eigentlich das schlimmste. Ich bin in einer Branche, in der unheimlich viele Drogen genommen werden. Von Musiker zu Werbung, das ist auch vom Regen in die Traufe. In der Werbung werden sogar noch mehr Drogen genommen, als bei Musikern. Musiker können sich das nämlich nicht leisten. Mit Sucht ist das immer so eine Sache. Ich finde ja, Alkoholismus ist die schlimmste Sucht, weil sie so alltäglich ist. Deshalb sage ich ja, das mache ich eben auch mal, nicht immer, aber ganz gerne.
Es ist akzeptiert.
Es ist so akzeptiert. Aber im Endeffekt, zum Beispiel, Koksen ist so ein bisschen wie Trinken auf Turbo, vor allem kannst du dann eben immer noch weitertrinken, aber es geht dir so schlecht danach, oder eben dem normalen Menschen. Das kannst du nicht jeden Tag machen. Es gibt allerdings Leute, die machen das jeden Tag. Ich habe keine Ahnung, wie das geht. Das ist einfach zu hart für den Körper. Und ich habe das vielleicht so einmal in der Woche gemacht? Manchmal zweimal, wenn ich es zweimal in der Woche gemacht habe, dann war ich schon eigentlich im Arsch, aber konnte trotzdem noch arbeiten. Aber nicht wirklich. Man ist immer in so einem leichten Nebel. Aber, wenn man im Kreativbusiness arbeitet, wo es mehr darum geht, dass du einen Output hast und nicht unbedingt darum geht, dass du jeden Tag von acht bis fünf da sitzt, solange du da erledigst, was du tun musst und manchmal sogar vielleicht ein bisschen besser erledigst, ist es sogar akzeptiert. Und insofern ist das eigentlich viel, viel gefährlicher. Das heißt, diesen sozialen Abstieg, das ist relativ schwierig im Kreativbusiness, einen richtigen sozialen Abstieg auf Droge hinzukriegen. Aber das ist auch schon immer so.
Guck dir mal Mad Men an, weil bei Mad Men sind sie auch den ganzen Tag nur am saufen. Und das ist eben eigentlich nur eine Fortsetzung davon. Also am Schluss von Mad Men fangen sie auch an zu koksen. Das heißt, du kannst es eigentlich weitermachen und das macht es eigentlich viel schlimmer. Du fällst nicht mal so auf die Nase und hörst dann auf. So machst du irgendwie immer weiter. Das heißt, nur die Tatsache, dass du ein funktionierender Drogenabhängiger bist, heißt noch lange nicht, dass man irgendwie besser ist oder besser dran ist. Es gibt auch in der Musik Leute, die waren jahrzehntelang heroinabhängig. Wie zum Beispiel Ray Charles. Aber das ging nur, weil der so viel Geld hatte und sich guten Stoff leisten konnte. Und irgendwie Ärzte hatte und Manager, die sich um ihn kümmerten. Beim Koksen ist das so, du ziehst dir eine Nase rein und dann ist die Wirkung irgendwann vorbei und das ist auch weg aus deinem Körper. Also sagen wir mal so, du weißt schon, was da reingeht, da
weißt du auch immer gleich, was das ist. Und dann hörst du sofort auf, wenn irgendwas schlecht ist. Aber beim Heroin spritzt du dir das ja, das kannst du nicht mehr rückgängig machen. Und ich glaube viele versterben auch, weil sie nicht wissen, wie konzentriert das war oder es mit irgendwas anderem gestreckt ist oder so. Aber, wenn du dir gutes Heroin leisten kannst, wie Ray Charles, dann ist das eben eine jahrzehntelange Freude und funktioniert immer weiter. Hast ja dein ganzes System um dich herum. Hast du mal die Keith Richards-Biografie gelesen?
Life? Nee, noch nicht.
Und da ist das auch so. Da merkt man, was Keith Richards für ein Arschloch ist. Was für ein unerträglicher Typ. Schildert sich auch noch in den schönsten Farben, aber in Wirklichkeit merkt man die ganze Zeit … Uuääh! Furchtbarer Typ, furchtbar! Weil der eben auch so ein System hatte von Leuten, die sich permanent um ihn gekümmert haben. Das heißt, der musste nie erwachsen werden. Der konnte sich das eben sein Leben lang leisten. Das ist noch viel extremer. Diese Art von Musiker, die gibt es ja heute kaum noch. Es gibt jedenfalls keinen, der sich das so langfristig leisten kann. Die Tatsache, dass Mac Miller gestorben ist. Das ist eben eine heutige Musiker-Drogen-Karriere. Das ist so tragisch. Mit 26, aus so einer Kombination von Psychopharmaka, Koks und Fentanyl. So über den Jordan gegangen. Da ist überhaupt keine Romantik mehr drin. In Amerika ist ja Drogensucht so viel normaler als hier. Weil die Ärzte wirklich hemmungslos dieses Oxycodon und Vicodin und eben Fentanyl verschreiben. Was nichts anderes ist als Heroin. Also Fentanyl, die verschreiben das für Schmerzen. Und irgendwann verschreibt der Arzt das nicht mehr und man ist einfach mittlerweile heroinabhängig. Und dann geht man auf die Straße und holt es sich da. Da gibt es auf Netflix die Dokumentation Heroin(e), das handelt von einer Feuerwehrchefin in der Stadt Huntington, West Virginia, 100.000 Einwohner, 20 Drogentote pro Tag. Von denen aber mehr als die Hälfte wiederbelebt werden.
Aber die machen ja auch weiter.
Manchmal sterben die zweimal am Tag. Musst du dir mal angucken. Das ist die amerikanische Drogenepidemie, die komplett durch die Pharmaindustrie erzeugt wurde.
Aber es ging ja los mit einer anderen Frage. Das Problem an Koks ist ja nicht ein körperliches, es ist ja mehr ein soziales oder mentales Gewöhnungsproblem. Dass du zum Beispiel denkst, du kannst keinen Spaß mehr haben ohne das Zeug. Oder du fällst in eine Depression danach, weil dein gesamter Dopamin, Belohnungsmechanismus im Kopf durcheinander ist. Und das ist ein großes Problem. Aber es ist grundsätzlich viel, viel leichter aufzuhören, oder auch, es mal nicht zu machen. Weil es schüttelt dich nicht durch den ganzen Körper und du fängst an zu kotzen, hast das Gefühl du wirst krank, kriegst Fieber und was weiß ich nicht alles. So funktioniert das eben nicht. Das macht es jetzt nicht unbedingt besser. Wenn du kokainsüchtig bist, jedenfalls auf dem Level, wie ich das war, wo auch viele sagen: “Wieso, du machst das doch nur ab und zu mal, so aus Spaß.” Und da sag ich, da lügst du dir aber in die Tasche, das ist nämlich in Wirklichkeit trotzdem eine Sucht. Aber du kannst auch mal drei Wochen in Urlaub fahren und gar nicht dran denken.
Tatsächlich gar nicht?
Nee, du hast eine andere Umgebung, das ist ganz seltsam. Manche Leute ziehen dann ja auch weg und stellen fest, ok, woanders und mit anderen Freunden oder an einem anderen Ort ist das auf einmal nicht mehr diese Gewohnheit oder die Situation, in der es immer passiert. Es gibt ja auch Leute, die alle Drogen immer in eine Kiste werfen. Das ist alles sehr, sehr unterschiedlich. Wir haben eben auch über Heroin geredet, das ist was ganz anderes. Zum Beispiel Haschisch rauchen oder so, finde ich, ist nicht mal eine Droge. Es ist definitiv nicht so schlimm wie Alkohol. Es ist alles sehr unterschiedlich.

Eine drängende Frage

Rentboy, Hendrik, Mrs. Victor Estevez, die Geschichte mit Mark Murphy, es gibt so viele abgefahrene Geschichten in deinem Buch.
Du hast mir bereits auf dem Reeperbahnfestival gesteckt, dass die Geschichte aus New York, die mit den Spinnen, wahr ist.
Ich möchte jetzt gar nicht jede Geschichte ob ihres Wahrheitsgehaltes abklopfen
.
Aber, gibt es eine wahre Geschichte, die nicht im Buch gelandet ist, nun aber erzählenswert ist?
Es gibt einige wahre Geschichten, die nicht im Buch gelandet sind. Entweder sind sie einfach zu ultrapeinlich oder sie sind einfach nur langweilig oder ich habe nicht dran gedacht in dem Moment. Ich habe noch ein paar in meinem nächsten Buch, das auch schon fertig ist übrigens, das heißt Der Schlaffotograf. Da habe ich sie verbraten. Zum Beispiel, wie ich nach dem Stripteaseclub-Besuch die Wirtin runtergehandelt habe. Was sind denn da noch für Geschichten drin?
(Timo beginnt zu lachen) Eine ehemalige Freundin von mir hat immer Drinks in Clubs reingeschmuggelt, in ihrer Vagina.
Nein!
Hat sich immer die Flasche so reingesteckt. Also es gibt noch einige Geschichten. Das ist im nächsten Buch, das habe ich schon fertig, der Schlaffotograf. Und dann schreibe ich schon das dritte Buch gerade, es heißt Die Optimistin. Und das zweite Buch ist Science Fiction und das dritte Buch ist ein Historienroman. So und mehr verrate ich nicht.

Das war Teil 1 des Interviews, hier geht es weiter.
Wenn ihr das Buch noch nicht gelesen oder gehört habt, besorgt es euch! Einen kleinen zusätzlichen Anreiz könnte euch diese visuelle Vorstellung des Buches geben:

Quelle: YouTube, tapeterecords

Text, Interview & Polaroid-Fotos: René Biernath
Instant Film-Cover Foto: Color, I-Type
Instant Film: Black & White, For Use With 600

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