Renes Redekiste

Interviews & Polaroid-Fotografie

Die Reise zum Ka Palaho Beach

Dieser Text, Die Reise zum Ka Palaho Beach, beschreibt den Weg zum Interview mit Fizzy Blood, in dem wir über ihr erstes Album Pan Am Blues sprachen. Das Abenteuer begann im April 2019 und fand ihr Ende Anfang Dezember desselben Jahres. Es ist eine Geschichte voller Begegnungen, Überraschungen und außerdem ist sie ein beispielloses Zeugnis der Leidenschaft für die Musik. Mit diesen Worten entlasse ich euch in ein Lesevergnügen der anderen Art und hoffe, dass ihr es genießen werdet. Ich habe jede Sekunde davon geliebt.

April 2019

“Viva lost Vegas …”, Pauls Stimme erklingt ruhig, während er an einem dieser Pianos, die man an Flughäfen oder eben auch in Einkaufszentren finden kann, die mir bekannte Melodie anstimmt. Da ich mit den folgenden Worten vertraut bin, steige ich vorsichtig mit ein: “Come and try your luck …”

Wir lächeln uns an und ich fühle mich ermutigt. Ich habe alles richtiggemacht. Erneut nach Leeds zu kommen, ohne Job, nur meine Polaroid-Kamera und ein paar Ideen im Koffer. Seit einigen Wochen liefen die Demos für das Debütalbum von Fizzy Blood in meiner Wohnung rauf und runter und ich wollte von Anfang an dabei sein. Eigentlich wollte ich nur meine neu gewonnenen Freunde in Leeds besuchen, doch beschloss ich schnell, diese Gelegenheit beim Schopf zu packen. Die Chance, sich vorab in aller Ruhe mit dem Material beschäftigen zu können, sich mit den Möglichkeiten zu befassen, was man daraus aus journalistischer Sicht alles anstellen könnte. Journalistisch ist ein hoch angesetzter Begriff, aber warum sich immer unten einordnen? So keimte folgende Idee in mir auf: Ein Interview, kein kurzes ohne Gewicht, mit dazugehörigen Bildern, die eine Botschaft aus den jeweiligen Songs herausfiltern. Und natürlich der Text, den ich gerade verfasse. Obwohl mir diese Idee erst Monate später in den Sinn kam.

Wie die Reise begann

Nach unserer gemeinsamen Tour durch England (die ich für drei Termine begleitete) hielten wir den Kontakt und ich dachte über meine noch zu vergebenden Urlaubstage nach. Leeds hatte mir 2018 wirklich gefallen, also sollte das in 2019 doch nicht anders sein. Wie schon erwähnt, eigentlich wollte ich nur meine Freunde besuchen, dazu ein paar Erinnerungen auffrischen und einfach ein paar Tage in England verbringen. Aber wie so oft kam alles anders. Das Demomaterial, welches mich so begeistert und die daraus entstandene Lust wieder etwas Neues auszuprobieren. Ich konnte einfach nicht widerstehen! Die Songs sind anders, wenn man es platt halten will – Fizzy Blood sind ruhiger geworden. Besonders Last Orders, Famous Planes oder auch Viva Las Vegas begeistern mich mit jedem Hören mehr. Eine Kehrtwende, weg vom krachenden Sound. Auf eine gute Art!

Und so zieht es mich im April Richtung Hamburg Airport. Über Amsterdam geht es nach Leeds Bradford und ehe ich mich versehe, sitze ich in einem Uber und quassle mit dem Fahrer über wirklich alles Mögliche, bis er mich an der Adresse absetzt, die Paul mir gegeben hat. Es ist eine typisch englische Wohngegend. Wer es kennt, versteht mich. Mein Blick wandert an dem Haus hoch, ich erklimme die Treppe, drücke die Klingel. Ich warte etwas und dann öffnet Paul mir die Tür – nichts fühlt sich unrealer an. Es ist wie zwei Blocks weiter gegangen zu sein, auf einmal sitze ich in der Küche und bin zurück.

Die Zeit in Leeds

Die folgenden Tage ziehen vorbei wie in einem einzigen Rausch. Wir reden über das Album, das Konzept, die Ideen hinter den Songs, trinken uns von Bar zu Bar, bis wir am ersten Abend spontan das Konzert von Amyl & The Sniffers besuchen. Ich bin nicht nur zurück in Leeds, sondern auch zurück im Brudenell Social Club. Es gibt bis dato keinen Laden in England, den ich lieber aufsuche. Zwei Fliegen mit einer Klappe und es ist noch immer der erste Tag des Trips! In den nächsten Tagen verbringe ich Zeit in der Innenstadt, treffe eine Fotografin, die ich auf der Tour kennengelernt habe und beschäftige mich mit den Demos und dem anstehenden Interview mit Talkboy. Talkboy? Geht es hier nicht um Fizzy Blood? Nun ja, muss es sich hier nur um Fizzy Blood drehen? Es ist die Reise zum Ka Palaho Beach, inklusive aller Begebenheiten, die mir erwähnenswert erscheinen.

Außerdem ist Talkboy die Band, in der Tim und Jake ebenso spielen (sonst würde ich die Truppe wahrscheinlich gar nicht kennen). Nachdem Paul und ich in der Zwischenzeit sogar in einer Rollerblade Disco unser Können gezeigt haben, ist es auch schon so weit. Wir treffen uns mit Talkboy zum Bowling spielen im Ten Pins, um auch gleich danach das Interview zu führen. Vorher sitzen Paul, seine Freundin und ich in einem Spoons und vertreiben uns bei einem Bier die Zeit. Dort muss ich noch meinen abgelaufenen und angebrochenen Polaroid-Film loswerden, somit schieße ich ein paar Fotos und das erste Foto für die Galerie von Ka Palaho Beach entsteht.

VivaLostVegasRough

Paul in: Viva Lost Vegas

Unsere Bowling Runde ist feuchtfröhlich, wir sind ein bunter Haufen, der gut miteinander auskommt. Und bis es zum Interview kommt, sind wir alle bereits gut betankt. Es ist eine schöne und lockere Gesprächsatmosphäre und abgesehen davon, dass es nur ein Bild als Zeugnis des Abends gibt, ist es ein voller Erfolg! Da wir alle gut drauf sind, beschließen wir weiterziehen und treffen sogar noch Ciaran, der nach seinem Feierabend zu uns stößt. Somit ist beinahe die gesamte Truppe wieder versammelt. Nur Benji fehlt. Dass ich in diesem Jahr noch einmal nach Leeds reisen werde und ihn dann wiederzusehen werde, ist mir zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst.

In der Zwischenzeit …

Zurück zu Hause höre ich mir immer wieder die Demos an und finde auch einen neuen Job. Das heißt, die nächste Reise kann geplant werden. Im September ist es dann endlich soweit, meine kleine Schwester und mich zieht es nach London und auf einer Geburtstagsfeier treffen wir Paul wieder. Am Feuer unterhalten wir uns über den Fortschritt des Albums und treffen einen Entschluss: Wir wollen zu Ende bringen, was wir im April begonnen haben! Es ist eine fantastische Nacht – Freunde, Schnaps, ein Feuer im Hinterhof eines Pubs und all das in Camden Town! Uns mangelt es an nichts.

Am nächsten Tag erwachen wir tatsächlich ohne Kopfschmerzen, es muss die Luft der Insel sein. Wir besorgen uns ein paar Kleinigkeiten für einen entspannten Start in den Tag, den wir im Hyde Park verbringen wollen. Erdbeeren, gutes Bier, selbst die Sonne scheint und genau hier starte ich die Arbeit an diesem Text: Die Reise zum Ka Palaho Beach. Um uns herum springen Eichhörnchen durch den Park, kann es noch schöner sein? Na, wartet es ab!

Ich entschließe mich dazu, mich meines Shirts zu entledigen und kurz nachdem ich meinen Oberkörper dem warmen Sonnenschein aussetze, landet eine Taube auf meinem Rücken! Selten war ich einem Herzinfarkt so nahe und meine Schwester kann nicht aufhören zu lachen. Doch nicht nur sie, es scheint, als ob der ganze Hyde Park diesen Vorfall beobachtet hat. Denn jede Person um uns herum lacht herzlich mit. Auch ich kann mich schlussendlich nicht dagegen wehren, aber von nun an bin ich immer auf der Hut, wenn mir eine Taube über den Weg läuft. Dieser Zwischenfall erhält in meinen Aufzeichnungen übrigens den Titel „Pigeon Attack“.

Hin und zurück

Und somit kehre ich im November nach Leeds zurück. Es ist das letzte Wochenende des Monats, als mein Flieger im frostigen Norden Englands auf der Landebahn aufsetzt. Wie immer bestelle ich mir ein Taxi und finde mich bald in der Gesellschaft von Jake und Daisy wieder. Ich entledige mich meines Gepäcks und wir machen uns auf den Weg in die Stadt, wo wir ein gutes Abendessen zu uns nehmen. Ich weiß nicht mehr, wo wir waren, also müssen diese Zeilen leider ohne eine Empfehlung auskommen. Und danach besuchen wir den Christkindl-Weihnachtsmarkt. Ja, tatsächlich! Es ist eine verrückte Szene: Ein kleines Stück Deutschland mitten im Herzen von Leeds. Wir trinken Glühwein, lachen über die Vielfalt der Lebkuchenherzen (es gibt zwei Möglichkeiten zur Auswahl: „Ich liebe dich“ oder „I love you“), kurz, wir haben eine wirklich gute Zeit! Später am Abend sammeln wir Paul am Bahnhof ein, wo wir im dortigen Pub einfach weiterfeiern und ich kann mich nicht mehr wirklich erinnern, wie es dann weitergeht.

Doch als ich aufwache, brauche ich nur einen kurzen Moment um mich zu orientieren. Zwei Matratzen sind in dem kleinen Raum auf dem Fußboden geparkt, auf der einen liege ich, auf der anderen schläft Paul. Das ist es also – Rock ’n‘ Roll! Auf leisen Sohlen verlasse ich das Zimmer, schleiche die Treppe hinunter ins Wohnzimmer und lasse mich auf dem Sofa nieder. Zeit nachzudenken, durchzuatmen, einfach nur mal sein. Während ich also dort sitze, erwacht das Haus langsam zum Leben. Jake beginnt das Frühstück vorzubereiten, es wird eine Völlerei am Morgen! Und genau so sollte das Leben sein. Gemeinsam frühstückend den Tag beginnen und dabei eben diesen planen. Und dieser Samstag scheint entspannt zu werden.

Die Jungs arbeiten etwas an ihren Demos, doch nach einiger Zeit mit ihnen im Keller wird es mir zu langweilig. Also entschließe ich mich einen Spaziergang zu machen. Auf meiner Runde durch die mir bekannten Straßen von Leeds besorge ich ein paar Donuts und Holsten Bier für die Band. Ein Kaffee bringt mich auf Touren und verdammt, es ist ein kalter Tag. Aber es war die richtige Entscheidung sich nach draußen zu begeben. Diese Straßen sind bereits mit einigen Erinnerungen an frühere Besuche gepflastert – ich genieße es zurück zu sein. Wieder am Haus klopfe ich an das Kellerfenster, die anderen lassen mich zurück ins Haus und es ist Zeit für Donuts und Bier! Es ist wie im April, Benji fehlt, ansonsten hat sich die gesamte Band im Keller versammelt.

Most of Fizzy Blood and me on our way to Ka Palaho Beach

Von links nach rechts: Jake, Ciaran, Tim, ich und Paul

Glücklicherweise sehe ich ihn später bei Ciaran, wo er und Paul einige Gesangsspuren aufnehmen. Dort trinken wir wieder etwas Bier, unterhalten uns über dies und das und bereiten uns auf die bevorstehende Nacht vor. Um genau zu sein, sind es Ciaran, Paul und ich, die heute Nacht ausgehen. Benji fährt nach Hause, während Jake und Tim auf einer Hochzeit spielen. Es ist wirklich schwierig, diesen Haufen zusammenzuhalten. Somit sind es nur wir drei, die heute Nacht ins Brudenell gehen, um The Ninth Wave live zu sehen. Für mich ist es das dritte Konzert der Band in diesem Jahr, Ciaran und Paul sehen sie zum ersten Mal und wir alle genießen ihr kurzes Set. Der Hauptact des heutigen Abends ist die Magic Gang, aber um ehrlich zu sein, ich verstehe den Wirbel um die Band nicht.

Die Episode mit dem Kater

Es ist mein Wecker, der mich aus dem Schlaf reißt. Ich bin ganz oben im Haus, ein derzeit unbewohntes Zimmer war die Herberge für meine zweite Nacht in Leeds. Total zerrockt liege ich im Bett und erinnere mich an die Unmengen von Bier des gestrigen Abends. Ich muss noch immer betrunken sein. Das letzte Bier im Wohnzimmer, danke dafür, es war wieder eine Nacht, die kein Ende finden durfte. Mit meinem Kram in beiden Händen taumle ich die Treppe herunter und versuche Ciaran zu wecken. Kein leichtes Unterfangen, er ist genauso fertig wie ich. Also beschließe ich, ihm etwas Zeit zu geben und begebe mich selber auf den Weg zu dem Haus, in dem das Interview stattfinden soll. Den Koffer in meiner Hand und definitiv immer noch im Fahrwasser, spaziere ich durch den kalten, aber sonnigen Morgen.

Bevor ich das Haus erreiche, mache ich noch einen kleinen Umweg zum naheliegenden Geschäft, um mir ein kleines Frühstück zu besorgen. Cola und ein paar abgepackte Sandwiches, wer behauptet hier, ich würde nicht gesund leben? Und dann erreiche ich das Haus. Nach und nach trudelt jeder ein und endlich sind wir alle wieder vereint. Das erste Mal seit der Tour im Jahr 2018.

Das muss ich euch noch erzählen! Gestern war da dieser Typ, der mir MDMA anbot. Ich saß einfach nur da, schon ziemlich betrunken. Um mich rum ein paar Leute, die ich gar nicht kannte. Wir haben uns etwas unterhalten und dann fragt er mich etwas. Ich hatte ihn nicht verstanden, sagte aber einfach ja. Ich dachte mir, na ja, wird schon nicht wichtig gewesen sein. Auf einmal holte er diese kleine Tüte aus seiner Tasche. Total verwirrt fragte ich ihn: „Was ist denn das?“ „MDMA, ich habe dich doch gerade gefragt.” Was zur Hölle?! Na ja, ich habe ihn dann aufgeklärt, dass ich eben nicht interessiert bin. Ein kleines Missverständnis.

Nachdem ich diesen kleinen Rückblick abgeschlossen habe, reden wir noch über andere Dinge, die in dieser Nacht geschehen sind, lachen viel und dann geht es los. Wir bereiten uns für das Interview vor und das heißt, jeder bekommt einen Aluhut!

Quelle: YouTube, Renés Redekiste

Und hier sind wir nun. Endlich. Wir haben es geschafft. Willkommen am Ka Palaho Beach.

 

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