Renes Redekiste

Interviews & Polaroid-Fotografie

Begrüsst mit mir das Piano-Wunderkind Neal Francis!

Wie ich auf Neal Francis gekommen bin?
Eine berechtigte Frage und die Antwort ist umso überraschender. Eine Umsonstzeitschrift aus einer Drogerie erwähnte den talentierten Künstler aus Chicago und nach nur einigen Songs war es bereits um mich geschehen. Und tatsächlich sollte der 34-Jährige schon bald in Hamburg auftreten. Aber diesem Vorhaben sollte sich einiges in den Weg stellen, die Tour wurde einige Male verschoben, doch nun ist der Tag gekommen.

Wir schreiben den 16. November 2022 und finden uns im Häkken wieder. Ich zücke meinen Notizblock und es geht los.

Neal, wärest du so freundlich, dich einmal selbst vorzustellen?
Neal: Hallo, hier spricht Neal Francis!
Was machst du für Musik?
Neal: Wir werden heute Abend hier in Hamburg spielen. Und wir spielen Rock, wir spielen Funk, Soul – wir spielen elektrische, groovige Musik.

Ist dies dein erstes Mal in Hamburg?
Neal:
Ja, ich war zwar schon einmal mit meiner Freundin hier, aber es war reine Freizeit. Das war im April diesen Jahres. Wir waren für zehn Tage in Berlin und sind an einem Tag mit der Bahn hierhergekommen.
Nur für einen Tag?
Neal:
Nun gut, wir sind auch über Nacht geblieben. Aber hier gibt es ganz bestimmt noch viel mehr zu entdecken.

Hattet ihr eine gute Zeit auf der Reeperbahn?
Neal: Wir haben es tatsächlich gar nicht auf die Reeperbahn geschafft. Wir sind in der Innenstadt unterwegs gewesen, waren oben in der Nikolaikirche und dann waren wir noch auswärts essen. Irgendwo auf der anderen Seite des Kanals, ich bin mir nicht mal sicher, in welcher Richtung das ist. Vielleicht westlich von hier. Aber es war sehr schön.

Bevor wir mit dem richtigen Interview starten.
Ich will es wissen: Star Wars oder Star Trek?
Neal:
Star Wars! Zu 100 Prozent!
Noch immer?!
Neal:
Ja man! Klar, Star Trek hat auch seine Stärken! Ich denke schon, dass es einfach tiefsinniger ist und diesen Aspekt mag ich daran wirklich sehr. Aber als ich aufgewachsen bin, da war es ganz klar Star Wars! Es hat mich einfach visuell viel mehr beeindruckt. Und deshalb bin ich darauf so abgefahren. Aber hey, J. J. Abrams wurde mit der Produktion von beiden Filmen betraut, was schon erstaunlich ist, oder nicht?

NealFrancisInterviewRenesRedekistePicByKevinWinikerBACKONSTAGE

Im Alter von 18 Jahren nannte man dich ein Piano-Wunderkind.
Neal: Ich weiß nicht, ob mich damals jemand so genannt hat, aber …
Doch dann ging es für dich von ganz oben nach ganz unten.
Inwieweit hat dieser Titel oder der Erfolg zu deinem Absturz beigetragen?
Neal: Ich dachte damals, dass ich sehr erfolgreich wäre, aber so erfolgreich war ich dann auch nicht. Doch in dieser Zeit habe ich sehr viel gelernt. Ich war in einer Band mit dem Namen The Heard und wir tourten durch die Vereinigten Staaten, nur war das alles auf sehr niedriger Ebene. Durch diese Band habe ich gelernt, wie man es eben nicht macht, aber ich habe auch gelernt, wie schön die Kameradschaft einer Band auf Tour ist. Selbst in diesen spartanischen Verhältnissen. Wir sind auf einem wirklich schmucklosen Level getourt.
Also war es nicht so glamourös wie …
Neal: Wie das hier? Nein, ganz bestimmt nicht (lacht)!
Gut, wir hatten eine Band, die Erfolg hatte. Aber ich meine, so wie es damals mit The Heard war, selbst diese Ebene des Erfolgs zu erreichen, das ist schon selten. Es ist so schwer, mit ursprünglicher Musik irgendeinen Grad von Bekanntheit zu erlangen. Damals war es so, wir waren sieben Typen auf einem Hotelzimmer, in einem Raum. Verstehst du?
Klingt nach einer nicht so gemütlichen Tour.
Neal: Genau, es war schon sehr einfach gehalten. Aber es war gleichzeitig auch der größte Spaß! Und der Bassist aus der Band spielt noch immer in meiner Band.
Oh, cool!
Neal: Ja man!
Also hast du schon etwas aus dieser Zeit mitgenommen.
Neal: Auf jeden Fall, ich bin noch immer mit jedem aus der Band gut befreundet. Es hat aber auch ein paar Jahre gebraucht, bis ich mit jedem wieder gut auskam.

Passend zur vorigen Frage – wer ist dein liebster „Piano Man“?
Neal: Das ist für mich wirklich schwer zu beantworten. Ich hatte gerade jemandem gesagt, dass Ray Charles einen großen Einfluss auf mich hatte, gerade als ich aufgewachsen bin. Otis Spann war einer meiner frühesten Einflüsse. Und weißt du, ich liebe auch klassische Musik, Bach ist ebenso ein großer Einfluss. Ich habe versucht so viel Musik wie möglich zu lernen und auch zu üben, aber die Liste würde immer weiter gehen. Ein anderer meiner musikalischen Helden ist Allen Toussaint, über den auch eine Menge geschrieben wurde. Ich bin immer wieder zu dieser Musik zurückgekehrt, nicht nur wegen seines Klavierspiels, sondern auch wegen seiner Kompositionen und seinen Fähigkeiten als Produzent anderer Künstler. Er ist fantastisch!
Wie sieht es mit Elton John aus?
Neal: Natürlich! Ich liebe Elton John. Ich meine, ich bin mit der Musik aufgewachsen, Elton John, Billy Joel, all die klassischen Rockgruppen. Ja, The Who, The Beatles, The (Rolling) Stones, all die Truppen. Ich hatte einfach Glück, in einem Haushalt aufzuwachsen, in dem die ganze Zeit eine so vielfältige Auswahl an Musik gespielt wurde.

NealFrancisBalconyHaekkenInterviewRenesRedekistePicByKevinWinikerBACKONSTAGE

Die musik und Die videos von Neal Francis selbst

Alameda Apartments ist das erste Lied auf deiner aktuellen Langspielplatte In Plain Sight.
Es ist so ein vielseitiger Song, wie wurde dieses Stück die Nummer, die sie heute ist?
Neal: Dieser Song ist tatsächlich das älteste Stück, wenn es darum geht, wann ich es geschrieben habe. Ich meine, ich habe es 2015 geschrieben – ich war gerade im Begriff The Heard zu verlassen  – aber ich habe das Lied nach einer erneuten schrecklichen Trennung geschrieben. Also spukte es all die Jahre in meinem Kopf herum. Und dann hat es das Stück nicht auf das erste Album geschafft, aber ich hatte ein Demo davon aufgenommen und dann war es bei den In Plain Sight-Aufnahmen das Erste, welches ich in Angriff genommen habe.

Wir sprachen über „Piano Men“, ein wenig über deine Musik, die schon nach Old School Rock klingt.
Das führt uns zu meiner nächsten Frage: Ist Rock ’n‘ Roll tot?

Neal: Ach, ich denke das nicht. Es sind nicht weniger Leute geworden, die wirklich krachende Rock-Shows abliefern. Ich meine, wir kommen gerade von unserer Tour mit Marcus King. Er verbreitet zweifellos diese Energie. Es ist einfach eine Tradition, so wie jede andere auch. Es gibt Leute, die die Grenzen austesten, wie die Idles, eine andere aktuelle Band. Wir haben gerade Courtney Barnett in den Niederlanden spielen sehen, dort haben wir auf dem selben Festival gespielt, dem TakeRoot Festival. Ihr Auftritt war einfach echter, gerade Rock ’n‘ Roll! Drei Leute und sie treten dir die Tür ein! Sie ist etwas ganz besonderes!

King Gizzard & the Lizard Wizard, unglaublich! Sicherlich, die Leute kommen nicht mehr in hellen Scharen zu solchen Shows. Die Popularität von Rock, ach, da kann man mit so vielen Leuten drüber sprechen. Wie zum Beispiel, dass es einmal eine sehr beliebte Form von Kunst war und dann aber vielleicht mehr zu einer Art Randbewegung geworden ist. Also wird man es nicht erleben, dass die Leute …, nun gut, vielleicht Kevin Parker von Tame Impala – er kann ein Stadion ausverkaufen. Gleichwohl, die Red Hot Chili Peppers können auch noch immer Stadien ausverkaufen. Sie sind aber auch schon lange dabei. Also weißt du, eigentlich will ich nur sagen, dass Rock nicht tot ist. Ich weiß nicht, ob wir eine Rockband sind, aber sicherlich mögen wir es zu rocken.
Also ist Rock ’n‘ Roll auch ein Lebensstil.
Neal:
Ja, das stimmt. Das ist wahr. Dies hier ist eine wirklich unrockige Band. In vielerlei Hinsicht. Wir sind ziemlich gesund, im Vergleich zu einer klassischen und gleichzeitig romantisierten Version einer Rock ’n‘ Roll-Band. Zum Teil schon, weil wir den meisten Teil der Arbeit selbst machen. Da gibt es gar nicht so viel Zeit, um auszugehen und herumzutollen. Und keiner in der Band ist nun wirklich ein Partylöwe. Aber wir haben gerne eine gute Zeit. Rocken tun wir am meisten auf der Bühne.

In Can’t Stop The Rain sieht man dich headbangen, während sich von oben Wasser auf dich ergießt.

Quelle: YouTube, Neal Francis

Wie viel Spaß hattest du mit diesem Video oder auch generell bei Videodrehs?
Neal:
Oh man, danke, dass du das fragst! Ich liebe den Regisseur von gerade diesem Video, Alec Basse. Er hat auch bei Problems und Prometheus Regie geführt. Er ist einfach ein Visionär und so ein erfahrener Filmschaffender! Und mit ihm zusammenzuarbeiten und dies auch weiterhin zu tun, ist und war ein großes Vergnügen. Er hatte die ganze Idee für das Can’t Stop The Rain-Video und auch für das zu Problems – die dazugehörigen Sets sind ebenso von ihm gebaut. Und wir haben alles auf 16mm-Film gedreht. Er ist ein wahrer Handwerker. Und das ist, was ich auch mit unserer Musik versuche, deshalb denke ich, dass wir verwandte Seelen in verschiedenen Fachbereichen sind.
Das Video zu Problems war für mich so, okay, er tanzt, keine Ahnung, in einem Wartezimmer oder so. Und dann kommen die Wände näher – was zur Hölle geht hier ab? Und du singst einfach weiter. Also es hat wirklich Spaß gemacht, sich das anzuschauen.
Neal: Ja man, dieser Videodreh hat auch wirklich viel Spaß gemacht. Normalerweise schließt der Videodreh auch immer ein gewisses Grad an Leiden mit ein, somit versteht Alec es einfach, eine dramatische Darbietung aus mir rauszuholen. Für dieses Video wurde ich mit vielen Leuten in einen engen Raum gequetscht. Für Rain saß ich dann stundenlang in kaltem Wasser. Und für Prometheus saß ich stundenlang in der kalten Pampa. Also ja, er ist einfach etwas ganz anderes.
Ich nehme das als Kompliment für ihn auf.
Neal:
Ich auch. Es war auch als Kompliment gemeint, auf jeden Fall.
Ich denke, falls er das hier liest, wird er es nicht falsch verstehen.

Der Name deiner kommenden EP ist Sentimental Garbage.
Übrigens auch ein toller Song!
Neal:
Danke dir!
Aber was ist dein ganz eigener Gefühlsmüll?

Neal: In meinem Kopf schwirrt einfach eine Menge Scheiße umher, die mit der Vergangenheit verbunden ist. Und der Versuch, das loszulassen und weiterzuziehen, ist ein ganz elementarer Teil in den meisten meiner Songs. Aber der Fokus außerhalb der Musik ist es, einfach zu leben.
Also ist es für dich an der Zeit, das einfach loszulassen?
Neal: Aber Hallo! Ich denke, dass jeder das nachempfinden kann, also eine Menge Müll aus der Vergangenheit mit sich herumzutragen. Und da sind all diese Verbindungen, die noch Jahre anhalten können. Und weißt du, das verschwindet auch nie wirklich. Da sind all diese Überreste von diesen Beziehungen. Und Erinnerungen sind sehr mächtig. Sich davon zu trennen, aber sie gleichzeitig auf eine gesunde Art zu erhalten und nicht total mit seinen Gedanken und Emotionen verstrickt zu sein. Ich versuche sie durch Meditation zu beobachten und lasse sie sich dann lieber zerstreuen, anstatt dass sie meinen Tag komplett kaputt machen. Aber ich denke, das ist eben ein Teil des Pfades, auf dem ich mich bewege. Ich weiß nicht, ob das nun deine Frage beantwortet.

Meine letzte Frage, sie ist meine Frage des Jahres – was ist der Schlüssel zum Unglücklichsein?
Neal: Der Schlüssel zum Unglücklichsein. Nicht genügend Schlaf zu bekommen und hungrig zu sein. Und deine Freundin zu belügen. Oder auch generell zu lügen. Das ist ein todsicheres Rezept. Also wenn du unglücklich sein möchtest, diese drei.
Ich mische sie einfach zusammen und dann ..
Neal: Genau! Also in einer Band wirst du eine lockere Zeit haben. Ich mache nur Witze (lacht)!

NealFrancisAtHaekkenByRenesRedekiste

Neal Francis auf dem Balkon vom Häkken.

EPILOG

Nachdem mein Handy direkt nach dem Interview mit Fizzy Blood gestohlen wurde, schien dieses nur wenige Tage zuvor geführte Gespräch verloren. Ohne Backup (kein Kommentar) hatte ich es sehr schnell abgeschrieben, bis mir irgendwann auf meinem neuen Telefon ein Sprachmemo auffiel. Ich klickte es an und es war der Mitschnitt meiner Unterhaltung mit Neal Francis. Was für ein Glück!

Ein großes Dankeschön an Kevin Winiker/BACK ON STAGE für die Fotos vom Interview und an das Messed! Up Magazine für einen neuen magischen Abend.

Interview, Polaroid-Fotografie und Text: René Biernath
Noch einmal Danke an Kevin
für die schönen Bilder!
Instant Film: Black & White, For Use With 600, Classic White Frame

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