Renes Redekiste

Interviews & Polaroid-Fotografie

Heute im Kino Kosmos: SIND

Vor dem Hauptfilm mit SIND gibt es nun noch einen Kurzfilm: Der Termin für das Interview anlässlich des neuen Albums Kinos Kosmos war bereits gesetzt, doch ein Sturm legte Deutschland lahm und setzte den Autor dieser Zeilen in Hamburg fest. Infolgedessen wurde ihm ein alternatives Berlin-Programm zu Füßen gelegt, welches Rauch und Rausch beinhaltete, bevor er am Sonntag, nach vielen entbehrlichen Stunden auf Schienen, endlich in Berlin ankam. Nur konnten sich Hannes, Ludwig und Mathias noch mit ihm treffen, um über ihr kommendes Album zu sprechen?

Die Frages des Wann schwebte über der Hauptstadt, als sich eine verrückte Idee im Chat herauskristallisierte. Und so kam es, dass sie sich um 8 Uhr am frühen Morgen am Holzmarkt treffen. Es gibt Croissants, frischen Kaffee und im Gepäck des Hobby-Journalisten finden sich Lebkuchenherzen zum Verzieren. Denn auch der Song Deine Likes soll zur Sprache kommen, doch dazu später mehr. Drehte die Single Café Miami bereits kräftig an der Nostalgieschraube, wirft uns Kino Kosmos endgültig zurück in die Vergangenheit – also, will noch jemand ein Eis?

Mathias und Hannes von SIND.

Mathias und Hannes.

Ludwig von SIND

Guten Morgen Sonnenschein alias Ludwig!

Auf Kino Kosmos präsentiert ihr eine Ansammlung von Erinnerungen.
Ist dieses Zurückblicken der Pandemie geschuldet?
Hannes: Jein, nein. Also eigentlich nicht zwingend. Die Pandemie hat natürlich irgendwie die Sachen, über die man gesprochen hat, noch mehr rausgeholt und verdeutlicht. Aber eigentlich hat die Pandemie Zeit gegeben darüber nachzudenken, was aus den Orten, den Menschen und den Begegnungen, die man so im Leben hat, was aus denen geworden ist. Also in dem Sinne ist es für uns kein Pandemie-Album. Die Pandemie hat uns nur die Zeit gegeben, das intensiver zu verarbeiten, musikalisch und gedanklich.
Ludwig: Wie es wahrscheinlich allen geht. Man muss seine Kontakte reduzieren, man muss überlegen: Mit wem kann man sich treffen? Bei vielen Leuten kam auch das Thema auf: Mit wem ist man jetzt eigentlich noch wie befreundet? Mit wem schreibt man auch noch nach zwei Wochen Lockdown? Oder mit wem trifft man sich dann noch? Und wer ist wirklich wichtig? Das war auf jeden Fall etwas, was wahrscheinlich viele Leute beschäftigt hat. Uns auch, eben im Sinne eines größeren Kontexts. Was ist mit Freundschaften passiert? Viele Themen handeln von ehemaligen Bandmitgliedern oder sind davon inspiriert. Oder auch von Orten, die man gemeinsam durchlebt hat.

Das dritte Album ist für Bands oft wegweisend, oder ein Statement.
Ist das bei euch ähnlich? Oder habt ihr noch eine neue Richtung für euch entdeckt?
Hannes: Auf jeden Fall ist das auf eine Art wegweisend. Das erste Album ist viel unter der Federführung von Max und Arne entstanden. Die sind beide nicht mehr da. Und Arne hatte alle Texte geschrieben. Das hat sich nun geändert. Das zweite Album war in dem Sinne für uns ein bisschen ausprobieren und einfach mal machen. Und das dritte Album, das jetzt kommt, da haben wir uns ein bisschen mit verschiedenen Stilen beschäftigt. Bei Warschau hört man es raus, bei Templin oder auch Nordsee.

Wir haben musikalisch ein bisschen mehr probiert und sind auch mal andere Wege gegangen. Insofern ist es richtungsweisend, dass wir uns immer mehr selbst finden und auch weiter neu erfinden. Wir sind definitv noch nicht irgendwo angekommen und ich glaube, das wollen wir auch nicht. Aber für uns ist es auf jeden Fall der nächste Schritt und es hat sehr viel Spaß gemacht, das auszuprobieren.

Und es ist ein guter Überblick. Über SIND. Savoy, Deine Likes, das sind so klassische SIND-Songs, die nach vorne gehen, poppig sind. Kino Kosmos schielt noch in die Richtung vom letzten Album. Und so Sachen wie Warschau oder auch Nordsee sind eben was besonderes, wo man sich mit anderen Instrumentierungen ausprobiert hat und musikalisch etwas abwechslungsreicher und weiter gegangen ist.
Ludwig: Ein Album ist doch eigentlich auch immer eine Momentaufnahme. Das ist für uns ebenso wichtig, dass man an den Punkt kommt, wo man sagt: Das ist jetzt, wie es halt ist. Das ist nun in der Zeit entstanden, in der es eben entstanden ist. Und dieses Mal war die Zeit relativ lang. Es hat sich über anderthalb Jahre gestreckt, eine gefühlte Ewigkeit. Insofern war es für uns vielleicht auch richtungsweisend, wie Hannes schon gesagt hat, diesen Prozess mitzubekommen. Dass wir uns nicht drei Wochen einschließen und unser Album fertig machen. Ohne Druck, es konnte sich mit der Zeit entwickeln und ich glaube, das hört man auch. Wir haben die Reihenfolge dementsprechend gewählt. Sowas wie Karlshorst, Deine Likes, sind im Anfangsstadium entstanden und die Sachen, die jetzt rauskommen, sind eher zum Ende des Prozesses entstanden.

Wo steckt eigentlich … und worum geht es im Detail?

Quelle: YouTube, SIND

Jahre ziehen wie ein Film vorüber
Im Café Miami
Halt mich fest
An Geschichten, hier und für immer
Im Café Miami, im Café Miami

SIND – Café Miami

Einer der Rückblicke auf eurem Album ist Café Miami. Dort sieht man euch noch zu viert. Jetzt seid ihr nur noch zu dritt?
Was ist mit Norm passiert?
Ludwig: Die Frage ist, was nächste Woche ist. Vielleicht sind wir dann nur noch zu zweit! (Alle lachen auf) Wie ich gerade sagte, das Album hat sich über anderthalb Jahre entwickelt. 2019 haben sich Arne und Max für einen anderen Lebensweg entschieden und sind aus der Band ausgestiegen. Dazu ist zu sagen, dass bei Savoy Arne den Text mitgeschrieben hat und bei Kino Kosmos das Gitarrenlick auch auf einer Idee von Max beruht. Also man ist immer noch sehr gut in Kontakt und trinkt gerne mal ein, zwei Bierchen zusammen. In dem Sinne ist es im Guten auseinandergegangen. Aber für uns hatte sich da erstmal die Frage gestellt, ob es überhaupt weitergeht, wie es weitergeht. Da war für uns aber auch relativ schnell klar, dass SIND, dieses Gefühl, das wir dafür haben, was es für uns ausmacht, ist halt mehr als dieses zu fünft sein in der Band. Es war für uns klar, dass wir da weitermachen wollen, noch mehr zu sagen haben. Deswegen haben wir uns auch dazu entschieden, zu dritt weiterzumachen.

Wir hatten halt kurz vorher in der Runde den Norm kennengelernt. Und dann beschlossen, dass wir dieses Band-Ding wieder zusammen starten. In den anderthalb Jahren ist uns aber bewusst geworden, dass man das aus den knapp sieben Jahren, was mir mit den anderen hatten, nicht in einem halben Jahr nachholen kann. Also ist uns klar geworden, dass dieses SIND jetzt eigentlich aus uns dreien besteht. Das hat natürlich auch mit anderen privaten Entscheidungen zu tun. Die Zeit, die wir zu viert hatten, war aber super! Da sind schöne Sachen entstanden, wir hatten eine super Zeit, hatten ein paar Auftritte zusammen, doch weiter wird es eben zu dritt gehen.

In dem Sinne hat sich das alles nochmal ein bisschen geändert. Wir sind jetzt auch in der Besetzung flexibler. Zum Beispiel, dass wir den Henko am Klavier dabei haben für manche Aktionen oder den Leo am Bass. Dadurch fühlen wir gerade das ganze Band-Ding einfach anders und entspannter. Und nicht: Okay, wir müssen jetzt unbedingt zu viert oder fünft sein und jeder hat sein Instrument. Der Kern ist zu dritt und alles, wie es sich drumherum entwickelt, ist dann halt flexibel.
Mathias: Ganz wichtig ist auch, dass SIND eben nicht nur die drei oder vier Leute sind, oder wen auch immer du auf der Bühne siehst. Sondern es ist eine große Familie, in der viele Leute dazu beitragen, dass wir überhaupt spielen können, dass wir überhaupt Musik veröffentlichen können. Von einer Position im Management bis hin zu wechselnden Musiker*innen mit uns zusammen auf der Bühne. Im Warschau-Video siehst du es eben auch, dass wir so ein Video niemals hätten alleine machen können. Wir sind den Leuten, mit denen wir arbeiten, einfach zu großem Dank verpflichtet und die sind ein Teil unserer Familie. Ob nun drei oder vier auf der Bühne stehen, oder acht, ist für uns drei ziemlich egal. Wir verstehen uns eher als großes Ganzes.
Hannes: Wie Ludwig schon gut gesagt hat, da hat das letzte Jahr selbst den Weg vorgegeben. Es gab diese Akustik-Sessions, bei radioeins haben wir auch akustisch gespielt und da haben wir halt den Henko gefragt. Und weil Norm lange verletzt war und das letzte Jahr nicht Bass spielen konnte, haben wir dann dementsprechend den Leo gefragt. Dadurch haben sich neue Türen geöffnet und in dem Rahmen haben wir gemerkt: Klavier – das funktioniert ja voll! Für den Prozess der Weiterentwicklung war das total wichtig, diese Tür zu öffnen und uns da so flexibel zu halten. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass Norm auch nochmal live mitspielt. Wir haben nur gesagt: Hey, wir sind diesen Weg zusammen gegangen. Wir machen das nun zu dritt. Die Basis, das sind wir drei. Und wie es gerade lustig ist, kommen alle anderen irgendwie dazu. Auf der einen Seite etwas eingeengt, auf der anderen Seite komplett geöffnet.

Quelle: YouTube, SIND

Warum ist gerade Kino Kosmos zum Titel der Platte geworden?
Ludwig: Die Geschichte des Albums geht eigentlich im Sommer 2020 los. Da war ein Bekannter von uns in Otterwisch unterwegs. Der ist da aufgewachsen und hat uns bei seiner Rückkehr vorm Kiosk getroffen. Wir saßen da gerade mit ’nem Bierchen und er hat uns das Bild vom Café Miami gezeigt. Was dann auch das Cover zur Single geworden ist. Für uns war es dann so: Say no more, das wird auf jeden Fall ein Song! Weil es visuell so viel transportiert und uns so viel bedeutet. Eigentlich sollte auch das Album Café Miami heißen. Und in dem Prozess, diesen anderthalb Jahren, ist uns aber bewusst geworden, dass durch die Songs, die Themen, die dazugekommen sind, ein anderer Fokus entstanden ist.

Und dann ist der Song Kino Kosmos entstanden, der da hauptsächlich die jugendlichen Jahre behandelt. Eine Zeit, in der Hannes und die anderen Kollegen auf der Straße unterwegs waren. Dieses Kino Kosmos war aber auch bei uns – wir kommen ja nicht direkt aus Berlin, bei Rand-Berliner Jugendlichen ein richtiger Begriff gewesen. Weil das war der Ort, wo man als Halbstarker zum Feiern hingegangen ist. Da die coolen Sachen sonst nicht erreichbar waren.
Hannes: Ich bin da noch ins Kino gegangen. Jugendweihe hatte ich da auch.
Ludwig: Wieder ganz viel Kindheit und da ist klar geworden, dass das eigentlich thematisch der Kern der ganzen Geschichte ist. Da trifft sich alles im Kino Kosmos. Freundschaften, Geschichten, Erfahrungen.
Hannes: Der Ort selbst hat sich auch krass gewandelt. Es war mal ein Kino, eine Diskothek und jetzt ist es halt ein ganz toller Veranstaltungsort für Business-Sachen und so ein Quatsch. Diese Veränderung über die Zeit steht auch symbolisch für das Album. Wir beschäftigen uns ganz krass damit, was aus den Menschen und diesen Orten geworden ist. Und deswegen passt es inhaltlich total geil. Und Kino Kosmos, Kosmos ist auch so ein geiler Begriff! So allumfassend.
Mathias: Der Ort an sich und das, was viele Menschen damit verbinden, die einen Bezug zu Berlin oder speziell zum Kino Kosmos haben, da stecken schon so viele Geschichten drin, die eben zum Teil in elf oder zehn anderen Song von uns erzählt werden. Deshalb ist das als großes Hauptthema einfach ganz passend.

Meint ihr, da finden sich Leute in dem Titel wieder?
Weil Kino Kosmos einfach so ein genereller Begriff für alle ist?
Mathias: Ich glaube schon. Ich glaube, dass jeder damit so eine Identifikation für sich selbst findet. Im letzten Jahr hatten wir diesbezüglich ein total schönes Erlebnis. Da haben wir auf dem Immergut Festival gespielt und danach kam eine Frau zu uns. Sie war ungefähr in unserem Alter und fing an, ihre Geschichte aus dem Römerweg zu erzählen, weil sie dort aufgewachsen ist, in Karlshorst. Und das ist einfach nur aufgrund einer Textzeile in einem Song von uns entstanden. Ich glaube, dieses Gefühl, diesen Identifikationsfaktor, werden auch viele Leute in Kino Kosmos finden.
Hannes: Nicht nur das. Wir hatten auch mal eine Mail bekommen, da war eine Frau, die schrieb: „Hey, ich komme zwar nicht aus Berlin, aber ich habe halt meinen Ort, da, wo ich aufgewachsen bin.“ Und das löste bei ihr in diesem Fall ganz viel aus. Und das ist es. Wir können nur über die Orte schreiben, die uns bewegt haben. Wir können ja nicht über Essen schreiben. Aber jeder hat halt sein kleines Karlshorst, seinen Kiez, wo er aufgewachsen ist. Seinen ersten eigenen Horizont, wo man am Kaugummiautomaten das Taschengeld verballert hat, heimlich irgendwo geraucht hat – keine Ahnung!
Mathias: Sein eigenes Café Miami, sein eigenes Kino Kosmos.
Hannes: Genau! Und wir versuchen eben nur, das auszulösen.

Was habt ihr eigentlich zuletzt im Kino gesehen?
Hannes: Da muss ich zugeben – peinlich: Spider-Man (lacht)!
Ist doch nicht peinlich!
Hannes: Ich hätte gerne was intellektuell anspruchvolles gesagt. Also ich habe Spider-Man geguckt. Es kam nichts anderes und ich hatte Bock auf Nachos.
Mathias: Ich habe den Joker gesehen, im Original.
Ludwig: Ich glaube, mit Maske war ich gar nicht im Kino. Seit 2020 war ich nicht mehr im Kino. Fehlt mir auch nicht. Wie bei Klassik-Konzerten regt es mich eigentlich immer nur auf, wenn da andere Leute sind (lacht trocken auf). Ich bin eigentlich ein ganz asozialer Kinogänger. Entweder rascheln die zu unpassenden Zeiten mit Popcorn oder öffnen beim Klassik-Konzert ihr Bonbonpapier. Labern zu laut, sind am Handy, weißt du, da ziehe ich mir lieber die Filme über meine fünf Streaming-Plattformen rein.

Vielleicht noch interessant, Tocotronic bekommen in einer Textzeile ihr Fett weg. Und zwar in Kino Kosmos. Ist das in Stein gemeißelt?
Oder hat euch Nie wieder Krieg wieder überzeugt?
Ludwig: Na, die bekommen gar nicht ihr Fett weg. Da ging es darum, dass Tocotronic da schon gut waren, nur wir eben noch nicht bereit. Eher eine Lobeshymne auf Tocotronic.
Hannes: Ein Kompliment. Es ist ja die Hochzeit des deutschen Indie. Die waren damals schon gut und haben es bis heute irgendwie geschafft.

Wem oder was schenkt ihr eigentlich eure Likes?
Hier gilt es zu erklären. Es gibt den bereits erwähnten Song Deine Likes. Und ich habe der Band nun drei Lebkuchenherzen mitgebracht, die jeder von ihnen individuell als Antwort auf diese Frage gestalten soll. Ludwig lässt die gehörnte Hand sprechen, Mathias schmeichelt mir mit seiner Antwort und Hannes umarmt mit seinem Herzen seine Bandkollegen.

SIND mit ihren frisch verzierten Likes.

SIND mit ihren frisch verzierten Likes.

Mathias und Hannes, dieser mit Zuckerguss

Making Of Eure Likes

Und Ludwig erklärt sein Lebkuchenherz: Ich gebe allen Leute meine Likes, die jetzt wieder auf Live-Konzerte gehen und dieses Jahr das wieder erfahrbar machen, was Musik eigentlich ausmacht.

Deine Likes – wie schreibt man so einen Ohrwurm?
Hannes: Das war der erste Song, der halbwegs fertig war, das war aber eher so ein elektronisches Baller-Ding. Das war aber zu düster. Die musikalische Idee lag gleichzeitig genauso lange herum und die habe ich geliebt, doch wir haben keinen Text dafür gefunden. Irgendwann kam der Tag, wo sich die beiden zusammengefügt haben. Und dann ist Deine Likes entstanden. Ich habe ihn auch wochenlang hoch und runter gehört. Das ist immer das Traurige, bevor der veröffentlicht wird, hört man einen Song halt tausendmal und wenn der veröffentlicht ist, dann ist auch gut.

Eine Abrechnung mit der Vergangenheit?

Warschau kann hier nicht unangesprochen bleiben.
Was ist die Geschichte hinter dem Song?
Hannes: Damals sind wir nach Warschau umgezogen. 2006, am 1. April.
Ludwig: Deine Familie und du. Nicht wir als Band.
Hannes: Mit dem Versprechen, dass mein Vater dann dort öfter da ist. Am Ende war er auch nur am Wochenende da. Wir haben in einer Gated Community gewohnt und sind 100 Meter weiter auf die internationale Schule gegangen. Meine Mutter war den ganzen Tag zu Hause, weil sie so schnell auch keinen Job in Polen gefunden hatte und es war einfach so eine Zeit, in der man seinen Vater sehr braucht und sich damit identifiziert. Und irgendwann hat man sich aber in dieser abgeschotteten Welt irgendwie entfremdet. Das ist einfach ein Rückblick auf diese Zeit und das Wahrnehmen einer Beziehung zwischen Vater und Sohn. Heutzutage sind wir extrem gut befreundet und verstehen uns wirklich gut. Aber das war damals eine komische und prägende Zeit. Und das verarbeitet der Song so ein bisschen.

Ist der Song denn eine Abrechnung oder machst du dadurch deinen Frieden damit?
Hannes: Es ist schon eine Abrechnung. Es ist auf jeden Fall sehr hart. Der Song ist auch im Gespräch mit meinem Vater ausgearbeitet worden. Ich habe ihn da relativ schnell mit einbezogen. Weil ich mir nicht anmaßen konnte, so einen Song einfach zu veröffentlichen. Wie gesagt, wir verstehen uns hervorragend und es war eben ein Anlass, darüber nochmal ganz offen zu sprechen. Es war sehr, sehr gut darüber zu reden. Es gab natürlich auch die Frage – führt man das weiter? Erzählt man die Geschichte bis heute? Das wäre aber falsch.

Weil das eben damals ein Moment, ein Gefühl war. Was, glaube ich, super wichtig ist und viele Leute kennen. Diese Vater-Sohn-Beziehung, die immer irgendwie special ist. Das war mir wichtig, das einmal so abgeschlossen festzuhalten. In diesem Sinne ist es eine Abrechnung, eben mit der Zeit. Heutzutage sieht man das anders. Ich meine, wenn wir auf Tour sind – da kann mein Kind auch irgendwann schreiben, dass ich auch immer nur unterwegs war. Und ich stehe jetzt hier und mache das, was ich liebe, das ist mir auch wichtig. Das ist immer dieser Zwiespalt.
Mathias: Also, um das abschließend auch nochmal in ein anderes Licht zu bringen. In der ersten Video-Version kann man das online sehen: Wir haben zu viert einen Ausflug nach Warschau gemacht. Also wir drei, mit Mario, mit Hannes Vater. Sind einfach wirklich an den Ort gefahren, an dem sie gewohnt haben und wo sie zur Schule gegangen sind. Haben uns die Stadt zusammen angeschaut und sind dann wieder zurück. Alles schön mit dem Zug.
Hannes: Das war auch das erste Mal, dass ich wieder da war.
Mathias: Mario auch, oder? Also zumindest an dem Ort, an dem ihr gewohnt habt.
Hannes: Nach 15 Jahren.
Und was macht das mit einem?
Hannes: Das war sehr emotional und melancholisch. Man fragt sich halt immer: Was wäre aus einem geworden, wenn wir dageblieben wären? Wir waren am Ende nur neun Monate da. Ich fand es krass, aber ich fand das auch voll schön, das mit den Jungs zusammen zu erleben und da zu sein.
Ludwig: Von der anderen Perspektive war das auch was, den Hannes und seinen Vater von einer ganz anderen Seite kennenzulernen. Also wir kennen ihn jetzt nur im Rahmen des gemeinsamen Musikmachens und natürlich auch als Freunde. Aber wenn du dann siehst, was das für eine Gated Community ist und was für eine abgeschottete internationale Schule. Da weißt du schon, okay, das war ein ganz anderer Hannes. Insofern sehr interessant.
Auch hart isoliert!
Hannes: Wie gesagt, ich war in den neun Monaten vielleicht dreimal Abends aus dieser Gated Community raus, um mich mit Freunden zu treffen. In so einem Alter, mit 15, dann auch noch internationale Schule, da ist es nicht immer so leicht, schnell anzukommen.

Quelle: YouTube, SIND

Die letzte Frage im Kino Kosmos

Jetzt haben wir uns wirklich viel in der Vergangenheit bewegt. Abschließende Frage dazu:
Ist es leicht jung zu sein?
Hannes: Ne! Also doch, wenn man jung ist, ja. Es ist extrem leicht jung zu sein. Davon handelt eben auch das Album. Unbesorgt in den Tag leben, keine Verpflichtung. Nur einfachere Sorgen zu haben, ist irgendwie schön. Da denkt man gerne dran zurück. Das haben wir natürlich immer noch irgendwie.
Mathias: Was heißt jung zu sein? Wenn wir schon diese Frage gestellt bekommen, scheinen wir nicht mehr dazuzugehören. Dann schaue ich mir die Jugend von heute an und sehe Bewegungen wie Fridays For Future. Die eben mit 16 oder jünger auf die Straße gehen. Einfach mal ihre Schule sein lassen, weil sie begriffen haben, dass, wenn sie jetzt nicht anfangen, sich dafür einzusetzen, ihre Kinder, oder auch unsere Kinder schon, in einer Welt leben werden, wo man sich ganz anderen Fragen stellen muss, als denen, die wir heute haben. Die viel existenzieller sein können. Klar, wir sind gegen Krieg auf die Straße gegangen, gegen den Irak-Krieg und solche Sachen. Und das war uns alles wichtig, aber diese Generation hat auf einmal eine ganz andere Dimension in ihrem eigenen Horizont, den sie verstehen und begreifen.
Hannes: Das ist total richtig, das ist voll der krasse Aspekt! Unsere Jugend war vielleicht unbeschwerter, als deren jetzt.
Mathias: Doch gleichzeitig war unsere Jugend von anderen sozialen Fragen geprägt. Bei mir zum Beispiel familiär. Mein Vater hatte einen anderen Job, war lange krank und die Wende hat viele Veränderungen bei uns hervorgerufen. Ohne Wende wärst du wahrscheinlich nie mit deiner Familie nach Polen oder nach Athen gegangen.
Hannes: Aber das empfand ich immer als Herausforderung. Du hast halt solch eine Energie und Unbeschwertheit, dass man das alles nicht groß als Problem wahrnimmt. Sondern eher eine Lösung suchst und dir was daraus machst. Ich finde, wir hatten in unserer Jugend dieses ungeheure Glück Möglichkeiten zu haben, sei es der Proberaum, hier im Acidbogen, oder einfach diese Freunde und Leute kennenzulernen, mit denen wir das machen durften, unseren Traum zu leben. In dem Sinne, war es glaube ich relativ leicht für uns, trotz aller Probleme. Viele hatten es, glaube ich, nicht so einfach.

Ludwig: Was man doch auch mit Jugend verbindet, ist wirklich dieses jugendliche Alter, indem man machen kann, was man will, auf der anderen Seite aber auch nicht, denn man ist immer abhängig davon, was die Eltern machen. Die ziehen nach Warschau, man muss mitziehen. Man ist an die Strukturen, auch an Kohle, gebunden und rebelliert ein bisschen. Insofern glaube ich, ist es auch nicht leicht, jung zu sein, weil das auch ganz viel von Unzufriedenheit geprägt ist. Weil man kann eigentlich nicht alles machen, was man will. Was man jetzt aber machen kann. Jetzt denkt man aber, jung sein war viel cooler, denn mittlerweile hat man Verantwortung und alles. Insofern glaube ich: Jung sein ist nicht schwer, nur jung bleiben.
Mathias: Ich würde das gerne noch kurz ergänzen. Ich glaube, jung bleiben bedeutet auch einfach, eben empathisch zu sein und sich Dingen hingeben zu können, die man mag, oder die man auch nicht mag. Um acht Uhr aufstehen, oder auch mal um 5 Uhr aufstehen, oder mal wieder bis um 5 Uhr wachbleiben und mit Freunden die dritte Flasche Whisky leeren oder einfach Musik zu machen. Empathie ist ganz wichtig.

SIND und René

Danke für die Zeit und alles Gute für das Album!

Schön, dass dieses Interview wieder im realen Leben stattfinden konnte. Noch echter wird es am 29. April, denn da werden SIND im Privatclub spielen – das Konzert ist ausverkauft. Doch mehr Termine folgen bestimmt! Ebenso erscheint das dritte Werk, Kino Kosmos, an diesem Tag. Bitte vergessen Sie beim Verlassen des Saals nicht, Ihre leeren Popcorntüten und Getränkeflaschen mitzunehmen.

 

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