Als Last Train an einem kalten Mittwoch auf ihrer Deutschlandtournee in Hamburg den Anker werfen, könnten die Umstände tatsächlich besser sein. Der Frühling hat der Stadt soeben seinen Rücken zugekehrt, der Film für meine Kamera zickt herum und als ich zum Headcrash hinunterspaziere, riecht es nach Scheiße. Es lässt sich auch einfach nicht wegignorieren.
Es könnte vielleicht bessere Tage geben? Ja vielleicht, doch eigentlich – nein! Es ist die Reeperbahn, dies ist kein Blog über die Reinlichkeit bestimmter Gegenden und wir (die Band und ich) haben uns für ein Interview im Headcrash verabredet. Nach ein paar Minuten Wartezeit trudelt einer nach dem anderen ein: Anthony (Schlagzeug), Tim (Bass), Julien (Gitarre) und Jean-Noël (Gesang und Gitarre). Jean-Noël und ich tauschen unsere jeweiligen Sprachkenntnisse aus – er kennt das Wort Radiergummi und ich kann nach dem Käse fragen – und spätestens da merke ich, es könnte keinen besseren Tag geben.
Wie ihr gleich herausfinden werdet – es sind nicht immer nur die Fragen, es sind auch die Antworten. Und diese vier Jungs aus Frankreich haben ein paar gute Antworten im Gepäck. Also hier, backstage aus dem Headcrash: Last Train!
Ihr habt ein Album mit Orchester – einen Soundtrack – herausgebracht.
Wieso und wo kam denn diese Idee her?
Jean-Noël: Inspiriert haben uns verschiedene Songs und auch diverse Filmmusik. Das war schon seit einigen Jahren so und somit haben wir versucht, diesen Sound in unsere eigene Musik einfließen zu lassen. Doch manchmal wurde es kompliziert, es gibt da so eine Seite des Prog-Rock, die wir einfach nicht mögen. Deshalb hatten wir uns entschieden, uns einfach eine Spielwiese zu gönnen. Und das ist der Grund für dieses Album, die Tatsache, dass wir einfach unserer Inspiration freien Lauf lassen können und weil ich wirklich mal solche Musik machen wollte, ohne mich am Begriff Rockmusik stören zu müssen. Also war es wie ein Spielplatz.
Quelle: YouTube, LAST TRAIN
Französische Band trifft auf Deutschland
Willkommen zurück auf der Reeperbahn!
2017 wart ihr das letzte Mal hier…
Tim: Das letzte Mal, dass wir in Hamburg waren, war 2020. Wir haben im Hafenklang gespielt und es war im März des Jahres, also kurz vor der Corona-Pandemie.
Also ist es nicht euer erstes Mal in Deutschland.
Wie ist das deutsche Publikum – im Vergleich zu anderen Ländern?
Wer möchte?
Tim: Hi. Ich denke, wir haben es immer geliebt, hier in Deutschland, zu spielen. Weil wir in der Nähe geboren wurden, im Elsass. Wir waren Deutschland somit schon immer sehr nahe, wir haben oft hier gespielt und es immer genossen. Und betrunken zu werden auch (lacht). Und wir haben es jedes Mal geliebt, hier zu spielen. Also ich denke, da ist etwas zwischen dem deutschen Publikum und uns. Ich weiß nicht was, aber da ist etwas.
Anthony: Genau. Ich weiß nicht, ob nur ich das so sehe, aber ich habe das Gefühl, dass die Deutschen mehr alternatives Zeug als die Franzosen hören, einfach weil wir hier mehr in alternativen Läden gespielt haben. Prog-Rock, Stoner-Rock, so ein Zeug. Sie haben mehr Freude am Musikentdecken als die Franzosen, aber vielleicht ist das auch alles Quatsch. Aber doch, das ist mein Gefühl darüber. Es rührt von diesen ersten Läden, in denen wir als Band gespielt haben.

Antoine Baschung
Tim: Und in Deutschland waren wir auch in ein paar Städten der Support für Rival Sons. Und wenn wir dort gespielt haben, waren es immer so schöne Abende. Die Leute haben sich sehr über uns als Vorband gefreut. Manchmal ist es schwieriger, aber in Deutschland vor Rival Sons zu spielen war immer eine Freude und eine gute Zeit. Es war schon witzig, diese Support-Shows, wir hatten nur eine halbe Stunde und spielten nur vier Songs. Fire, Jane… es waren sehr kurze Auftritte. Aber wir haben es geliebt.
Lasst uns ein paar Schritte zurückgehen.
Ich frage das nicht oft, aber dieses Mal…:
Wieso Last Train?
Wer möchte das Geheimnis lüften?
Jean-Noël: Also das Geheimnis ist: Wir waren super jung. Wir haben die Band gegründet, als wir 12 oder 13 Jahre alt waren. Als wir jung waren, klang das richtig gut, deshalb haben wir den Namen ausgewählt. Wir hätten auch jeden anderen – gut klingenden – Namen wählen können. Es tut mir leid, aber da steckt keine Bedeutung hinter dem Namen. Wir hatten die Möglichkeit, den Namen zu wechseln, doch wir haben uns entschieden, ihn nicht zu ändern. Und vielleicht ist das der springende Punkt, denn heute steht der Name Last Train für unsere Freundschaft und die Tatsache, dass wir bereits seit so langer Zeit gemeinsam Musik machen. Mit der Zeit sind wir richtig stolz drauf geworden.
Ja man! Ihr habt ihn zu eurem Namen gemacht!
WEATHERING
Euer erstes Album beinhaltet den Song Dropped by the Doves.
Dieser Song ist auf dem Soundtrack der Fernsehserie Lucifer gelandet.
Eine Ehre oder nicht euer Ding?
Anthony: Ich glaube, dass keiner von uns die Serie gesehen hat…? Nein. Tatsächlich ist es so, dass wir manchmal eine Nachricht bekommen: „Eure Musik läuft in der und der Sendung“ und wir sagen dann: „Ich denke, das ist cool!“ (lacht)
Tim: Die letzte Sache, die ich mir mit Vampiren angeschaut habe, war Twilight. Nach zehn Jahren war das schon ein wenig altbacken.
Das ist schon eine Ewigkeit her!
Tim: Ja, es ist bereits eine Ewigkeit her. Und ich habe es mir im letzten Jahr angeschaut und dachte nur: Urrgh…
Bleiben wir noch bei Weathering.
Ein Freund zeigte mir das Musikvideo zu Cold Fever und ich war sofort begeistert. Das Video hat mich sehr an die goldenen Indie-Zeiten der 2000er, vielleicht auch der später 2000er erinnert.
Wart ihr von dieser Zeit inspiriert oder war das damals einfach euer Stil?
Es wirkt wie ein Gruß aus der Vergangenheit. Das Mädchen mit dem Hut und… (alle lachen) Indie-Mädchen trugen Hüte!
Jean-Noël: Ich meine, das ist halt genau die Zeit gewesen, in der wir uns dazu entschieden unsere eigene Musik zu machen. Und deshalb gibt es einige gute und offensichtlich einige schlechte Dinge, so wie die Hüte. Das mit dem Hut tut mir wirklich leid. Kommt nicht wieder vor (lacht und die Band steigt mit ein).
Quelle: YouTube, LAST TRAIN
Jean-Noël: Cold Fever war der erste Song, den wir veröffentlicht haben. Und wenn wir jetzt darüber nachdenken, über dieses Video und das Lied, zehn Jahre später, dann ist es wie: „Oh, das waren wir mal, aber das sind noch immer wir.“ Aber das sind halt wir am Anfang. Das ist schon lustig anzusehen. Und dass du nun über den Song sprichst, ist witzig, weil das einfach wir vor zehn Jahren waren.
Vergangenheit und Gegenwart
Für euer folgendes Album – The Big Picture - habt ihr euch entschieden, die Zügel selbst in die Hand zu nehmen. Ihr habt euer eigenes Label gegründet und sogar euer eigenes Festival auf die Beine gestellt. Habt ihr euch zurückblickend jemals gefragt, ob das vielleicht ein bisschen zu viel war?
Jean-Noël: Es war nicht so, dass wir eines Morgens aufgewacht sind und gesagt haben, ja man, wir gründen jetzt ein Label, veranstalten ein Festival und all das. Das ist nicht von heute auf morgen passiert. Mittlerweile machen wir die Dinge schon seit langer Zeit selbst. Das erste Video, das Buchen der ersten Touren, die Promotion und all das Zeug. Heute haben wir eine andere Firma. Wir haben die Tour produziert, wir haben die Alben produziert, wir managen die Band selbst, aber wir mussten lernen, wie das alles geht. Und so haben wir das von Anfang an gemacht. Und am Anfang war es wirklich… vielleicht unschuldig. Vielleicht naiv, aber wir haben Tag für Tag gelernt, wie wir Dinge zu tun haben und lernen auch heute noch dazu. Also es ist einfach eine lange Reise.

Jean-Noël Scherrer
Jean-Noël, ich bleibe nochmal bei dir, weil diese Frage an dich geht:
Hast du jemals versucht oder darüber nachgedacht auf Französisch zu singen?
Jean-Noël: Tatsächlich nicht. Es ist die Art der Musik, die wir spielen. Wir haben uns das nicht ausgesucht. Es war einfach so: Wir wollten in einer Band spielen und wir wollten Rock ‚N‘ Roll spielen, mit englischem Gesang. Und wir haben uns niemals gefragt, stopp, ist das die korrekte Sprache? Aber ja, heute fragen eine Menge Leute, ob wir nicht auf Französisch singen können, aber das wollen wir einfach nicht. Doch da steckt kein Statement hinter, es ist einfach so, dass wir die englische Sprache lieben, auf Englisch zu singen, auch wenn es hart für uns ist, weil es eben nicht unsere Sprache ist. Und wir müssen wirklich hart arbeiten, um die richtige Aussprache hinzubekommen und gute Lieder zu schreiben. Denn Songs auf Französisch oder Englisch zu schreiben, ist nicht die gleiche Aufgabe. Also ja, es ist schwierig, aber es ist cool. Ich liebe es.
Quelle: YouTube, LAST TRAIN
In diesem Jahr habt ihr, nach drei Alben, sogar einem Orchesteralbum, III veröffentlicht.
Fühlt sich dieses Album nach einer Art Ankommen an?
Wie euer musikalisches Zuhause?
Julien: Das ist schön. Danke dir. Vielen Dank! Ich denke, wir fühlen uns so wohl mit dem Album, weil wir alles machen konnten, was wir wollten. Und die Tatsache, dass wir davor Original Motion Picture Soundtrack rausgebracht haben, wo Jean-Noël und wir eine Menge verschiedener Sachen ausprobiert haben, eine Menge verschiedener Dinge mit einem Orchester und vielen Instrumenten, die wir vorher nicht kannten. Er konnte wirklich viele verschiedene Dinge für sich probieren und sich einfach austoben. Als wir dann anfingen III zu schreiben, war es sehr einfach. Wir konnten alles machen, was wir wollten. Es war ein guter Moment. Ich habe keine Ahnung, worauf ich eigentlich hinauswill (lacht). Es war schön, dass wir vier in einem Raum waren und Songs geschrieben, weil Jean-Noël wirklich viel Zeit mit dem Schreiben von Original Motion Picture Soundtrack verbracht hatte. Danach fühlte es sich sehr schön an, wieder in einem Raum einfach Rockmusik zu spielen. Also ja man, ich denke, das war wie zu Hause sein.

Julien Peultier
Ihr seid eine Rockband!
Viele Leute haben es bereits gesagt und ich bin mir da nicht ganz sicher. Vielleicht will ich es auch einfach nicht wahrhaben, aber ist Rock ‚N‘ Roll tot?
Anthony: Tatsächlich sind da so viele Bands draußen, die beweisen, dass dem nicht so ist. Für mich ist das ein Satz, den dir ein alter Typ entgegenschleudert, weil er die Musik heutzutage nicht mehr mag. Und er ist einfach wütend, weil er die Welt - in der er heute lebt – nicht mehr versteht. Eigentlich gibt es eine Menge Rockbands, die Musik spielt, welche durch den Einfluss der jetzigen Welt entsteht. Ich nehme jetzt nur die bekannten Gruppen, wie Idols, Fontaines D.C., die reden über heutige Sachen und ich habe das Gefühl, dass junge Leute sich damit identifizieren können. Also nein, wie schon gesagt, ich denke, dass das wirklich eine Aussage von Leuten ist, die die Welt – in der sie jetzt leben – nicht verstehen.
Quelle: YouTube, LAST TRAIN
Da ist eine Zeile in The Big Picture, die zu meiner letzten Frage für heute geführt hat: „What we’ve never been through together.“
Und meine Frage hat nichts mit dem Song selbst zu tun.
Welches musikalische Ereignis hättest du gerne miterlebt?
Julien: Ich würde sagen die Beatles – hier in Hamburg. Als sie das erste Mal nach Deutschland kamen, um Rockmusik zu spielen. Das hätte ich so gerne miterlebt. Weil ich die Beatles liebe, natürlich. Es muss verrückt gewesen sein, da dabei zu sein.
Tim: Eine Sache daran ist wahr: Jeder von uns wäre da gewesen, um die Beatles zu sehen. Das ist wahr. Einige von uns würden völlig durchdrehen. Und die anderen eher so: „Okay“, „Das ist okay“, „Nett“, „Ist das Rock?“ Das ist lustig, weil es ein bisschen zu deiner vorigen Frage passt.

Timothée Gerard (blau wegen des Filmes, nicht wegen des Alkohols)
Es ist wie mit den älteren Leuten, es sind die alten Typen, die uns auf unseren Shows sowas erzählen wie: „Ich war bei Motörhead in den 90ern. Das ist das Beste, was ich jemals gesehen habe!“ (lacht) Und das ist witzig, weil das Antoines Antwort war. Hat noch jemand eine Idee, wo wäre man gerne dabei gewesen?
Jean-Noël: Ja Tim, aber es ist auch eine gute Antwort, weil ich fühle mich nicht wirklich nostalgisch, wenn ich an diese Zeit denke. Ich meine, als wir jünger waren, haben wir alles nach den Kriterien einer klassischen Rockband beurteilt. Ist es besser als Led Zeppelin? Ist es besser als The Rolling Stones? Oder eben andere Bands. Und wir sahen es auch so: „Man, das waren die besten Zeiten.“ Und heute, denke ich, ist es viel interessanter, weil es so viele neue Künstler seit Led Zeppelin und tatsächlich auch interessante Künstler gibt, denen man zuhören und auf deren Konzerte man gehen kann. Es gibt so viele Konzerte, es gibt so viele Arten zu reisen, um diesen Konzerten beizuwohnen, sodass ich einfach nur froh bin, in diesem Jahrhundert zu leben, anstatt im 17. Jahrhundert, wo ich vielleicht, ich weiß es nicht, ein Bauer gewesen wäre (lacht). Ich hätte nie das Glück gehabt, diese Konzerte zu sehen, weißt du, was ich meine? Also ja, ich bin einfach froh - genau jetzt – hier zu sein.
Anthony: Wir wären so richtige Bauern! (alle lachen) Wir kommen halt aus kleinen Dörfern im Elsass. Es wäre sehr schwierig für uns gewesen, eine Band zu sein und in dieser Zeit zu touren. Geschweige denn ein Konzert zu sehen.

Last Train im Hinterhof des Headcrash.
Danke Leute, das war wirklich toll!
Vielleicht bis zum nächsten Mal!?